denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.4 Nr.1 (2021) | Rubrik: Fokus
Gudrun Gauda / Hansjürgen Gauda
Focus: Puppen als Seelenverwandte – biographische Spuren von Puppen in Kunst, Literatur, Werk und Darstellung
Focus: Dolls/puppets as soulmates – biographical traces of dolls/puppets in art, literature, work and performance
Abstract:
Hansjürgen Gauda hat sich von Kindheit an mit unterschiedlichen Formen von
Puppen künstlerisch beschäftigt. Die frühen, unkonventionellen Erfahrungen
mit dem „Appeal“ und der sinnlich-konkreten Materialität der Puppenwelten
genauso wie mit ihrer Dekonstruktion prägten das Selbstverständnis seiner künstlerischen
und (später auch) therapeutischen Arbeit. Die Faszination, vom gestalteten Ganzen
zu den Teilen (Dekonstruktion) und von den Teilen wiederum zur Gestaltung des
Ganzen (Rekonstruktion) zu gelangen, steht dabei im Mittelpunkt seines Sich-Einlassens
auf die Puppe. Was ist Kunst? Was Therapie? Im Interview spürt Gudrun Gauda, Puppenspieltherapeutin
und Ehefrau des Künstlers, dieser früh geprägten Faszination nach.
Schlüsselwörter: Dekonstruktion/Rekonstruktion von Puppen; Puppen als Kunstobjekte; Art brut; Puppentherapie
Zitationsvorschlag: GAUDA, G.; GAUDA, H. Von der Anziehpuppe zur Kunst(-Therapie) mit Puppen: Hansjürgen Gauda im Interview mit Gudrun Gauda. denkste: puppe – multidisziplinäre zeitschrift für mensch-puppen-diskurse, v. 4, n. 1, p. 96–102, 16 Sep. 2021. DOI: https://doi.org/10.25819/dedo/113
Copyright: Gudrun und Hansjürgen Gauda. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).
DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/9992
Veröffentlicht am: 16.09.2021
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Abbildung 1: Barbiehimmel
Gudrun Gauda (GG): Für uns beide sind Puppen Teil unseres Lebens geworden. Dabei sind die Anfänge und Wege in die therapeutische Arbeit mit ihnen durchaus unterschiedlich in unsere Lebensgeschichten und Persönlichkeiten eingebettet. Auch wenn ich viel über Deine Erfahrungen mit Puppen für Dein Selbstverständnis als Künstler und Therapeut weiß, möchte ich in diesem Interview gerne noch einmal mehr und Genaueres darüber erfragen. Du warst ja schon sehr früh von Puppen fasziniert. Kannst du noch einmal beschreiben, wie es dazu kam? Wo liegen die Ursprünge Deiner Puppenfaszination?
Hansjürgen Gauda (HJG): Als ich ein Kind war, gab es bei uns zu Hause viele Kaufhauskataloge, aus denen meine älteren Schwestern ihre Kleider bestellt haben. Da gab es auch immer Fotos von Menschen in Unterwäsche. Ich konnte stundenlang unter dem Tisch sitzen, diese Fotos ausschneiden, auf Pappe kleben, sie wieder ausschneiden und sie dann ankleiden. Entweder habe ich ihnen Kleider angezogen, die ich gezeichnet hatte oder aus kleinen Restestoffschnipseln, die ich von meinen Schwestern bekommen hatte. Geprägt wurde das sicher auch dadurch, dass Kleidung bei uns immer eine große Rolle gespielt hat. Auch meinem Vater war es wichtig, dass wir alle immer nach der neusten Mode angezogen waren – er selbst und auch wir Kinder alle. Er kannte auch die Kleidergrößen aller seiner fünf Töchter und hat ihnen auch ohne ihre Anwesenheit stilsicher Sachen gekauft, die ihnen gut standen und passten. Mode war immer auch eine Art Abgrenzung der Familie nach außen – wir sind anders als die anderen.
GG: Wie haben denn die anderen Deine Aktivitäten betrachtet? Das war ja nicht gerade typisch für einen Jungen. Schon gar nicht in den 50er Jahren.
Abbildung 2: Geköpft
HJG: In der Familie hat das gar keine Rolle gespielt. Und Außenreaktionen gab es keine. Aber da Du ja nach Puppen gefragt hast: Puppen selbst – also „richtige“ Puppen, haben keine Rolle gespielt. Meine Schwestern waren alle bedeutend älter als ich und durch die Flucht gab es bei ihnen keine eigenen Puppen mehr.
GG: Irgendwann gab es dann aber doch eine „richtige“ Puppe?
HJG: Ja – und auch da ging es wieder darum, was Mode da für eine Rolle spielte. Ich weiß nicht mehr genau wie alt ich war, aber es war, als Farah Diba den Schah von Persien geheiratet hat [Anmerkung GG: Da war er 12 Jahre!], denn das erste Kleid, das ich für diese Puppe noch mit der Hand genäht habe, war das Hochzeitskleid von Farah Diba. Und da die Puppe auch Haare hatte, bekam sie auch die passende Farah-Diba-Frisur. Ich erinnere mich noch genau, dass die von den Schwestern Caritá aus Paris entworfen worden war. Das war auch keine „Kindchenpuppe“, so wie die Käthe Kruse Puppen, sondern für mich war sie eher eine Art kleine Schneiderpuppe mit kindlichem Gesicht. Dass ich die Puppe überhaupt bekommen habe, ist vielleicht tatsächlich darauf zurückzuführen, dass meine Eltern den Versuch aufgegeben hatten, mir Jungssachen zu schenken. Ich weiß nämlich auch noch, dass ich etwa zehnjährig einen Stabilo-Baukasten bekommen hatte. Aber statt Kräne oder so was daraus zu bauen, habe ich die Teile zu einer menschlichen Figur zusammengesetzt, für die Arme teilweise sogar auch verbogen. Sie bekam Augen aus Schrauben, wurde angemalt und in einem Rahmen aufgehängt. Das war wahrscheinlich mein erstes Puppen-„Kunstwerk“. Damals gab es für so etwas im meinem Lebensumfeld noch keinerlei Vorbild. Das, diese Puppenfigur aus den Teilen des Baukastens, und auch die Unmengen an Rauschgoldengeln, die ich gebastelt habe, wurden eben auch von meinen Eltern akzeptiert und gefördert. Wie lange ich die „Farah-Diba“-Puppe hatte und was aus ihr geworden ist, weiß ich nicht mehr. Der Effekt war aber offenbar, dass mein Interesse bei meinen Eltern angekommen war: „Der Junge wird mal nichts Mechanisches oder so machen, sondern der braucht was mit Stoffen.“ Und meine Schwestern haben das ausgenutzt. Meine älteste Schwester konnte gut nähen und hat mir schon viel beigebracht, so dass ich ihr helfen konnte und schon früh auch eigene richtige Sachen genäht habe. Tanzkleider für meine Schwestern oder Kinderkleider für meine Nichten.
GG: Und der erste berufliche Schritt war dann folgerichtig eine Schneiderlehre?
HJG: Ja – nur war mir damals nicht klar, wie viel Disziplin das bedeutet, dass man klein anfangen muss und dass man wochenlang nur Knopflöcher machen muss. Außerdem war es das nicht: ich wollte nicht langweilige ewig gleiche klassische Anzüge und Kostüme nähen, sondern eigentlich „designen“ – auch wenn es das Wort damals in meinem Wortschatz noch nicht gab. Um der Langeweile zu entgehen, habe ich mir einen Zeichenblock und Kohlestifte gekauft und habe in den Pausen Entwürfe gezeichnet. Das wurde aber gar nicht gerne gesehen. Die Atmosphäre in dem Atelier war für mich nicht gut. Ich war offenbar zu exzentrisch, galt als überspannt und das Entwerfen wurde mir verboten. Also habe ich die Lehre drangegeben. Das war der erste Anlauf.
Abbildung 3: Freischwimmer
GG: Nun weiß ich ja, dass dann die Hotellehre kam. Und auch da hast Du nicht immer das gemacht, was ein Hotelkaufmann üblicherweise so macht, sondern hast schon früh und eigenverantwortlich große Säle für Feste und Büffets dekoriert. Worauf hast du denn dabei als Anstoß zurückgegriffen?
HJG: Keine Ahnung eigentlich – ich habe schon damals viel Geld für Modezeitschriften ausgegeben. Vielleicht habe ich da auch kreative Anregungen bekommen? Ich habe auch immer weiter genäht – noch lange Jahre später und dann auch nach eigenen Entwürfen, was mir sogar immer am liebsten war. Das Spannende im Hotel war eigentlich sowieso die Arbeit an der Rezeption: ich hatte einen tollen Chef, habe von ihm viel über Menschen gelernt und hatte viel Gelegenheit, Gesichter zu studieren.
GG: Apropos Gesichter und Zeichnen. Ich weiß, dass jahrelang immer ausschließlich Gesichter Dein Thema waren.
HJG: Immer! Portraits haben mich schon immer fasziniert. Ich habe immer versucht zu malen, auch wenn das nicht meine wahre Begabung war, aber ich habe immer für mich selbst gemalt, bin auch viel in Museen gegangen und habe viele Materialen ausprobiert: Aquarell, Öl, Tusche – aber das war irgendwie alles nicht meins. Wichtig war das Thema: Menschen in allen Variationen und auch da schon teilweise fragmentiert oder besondere Merkmale auf irgendeine Art betont und so was.
Abbildung 4: Ohne Titel
GG: Und wie kamst Du dann wieder zu den Puppen?
HJG: Der nächste Schritt zu den Puppen waren dann Assemblagen. Ich habe nach dreidimensionalen Möglichkeiten gesucht, auf Leinwand Dinge aufzutragen. Da war ich dann wieder bei meinen Stoffen, die ich ja immer hatte, Kordeln und so etwas. Auch alle möglichen Fundstücke. Ganz sicher vom Dadaismus, Kurt Schwitters usw. beeinflusst. Und da war ich dann schnell wieder bei den Puppen und ganz besonders bei den Barbiepuppen. Das fand ich faszinierend: Barbiepuppen waren für mich immer der absolute Inbegriff von Künstlichkeit, die ich auch ohne Bedenken auseinandernehmen konnte. Damals hätte ich das mit Babypuppen noch nicht gemacht. Aber die Barbiepuppen eigneten sich absolut dazu, Dinge zu verfremden. Barbie IST abstrakt und eignet sich einfach ideal zum Verfremden. Und als das immer mehr wurde, wurde mir auch immer klarer, dass die Malerei mein Medium nie gewesen ist. Das ist mir dann später viel klarer geworden: Ich habe immer versucht – auch heute noch –, aus Fundstücken Neues zusammenzusetzen. Oft skurril hässliche Puppenteile vom Flohmarkt. Aus Kaputtem Neues machen. Das ist die Grundidee.
GG: Gab es da ein bekanntes Vorbild auf dem Kunstmarkt? Du hast ja auch immer viel gelesen und bist sehr viel in Ausstellungen gegangen.
Abbildung 5: Welt
HJG: Hm… Ich könnte nicht sagen, dass ich irgendeinen Künstler oder irgendein Werk als Vorbild genommen habe. Zu dem Zeitpunkt kannte ich natürlich die Werke von Cindy Sherman. Aber das war nie ein Vorbild, zumal ihre Werke ja in den 80er Jahren auch noch stark als feministische Kunst gehandelt wurden. Das war es nicht. Die Idee war immer: Sachen zu finden, zu sammeln und da was draus zu machen. Das war so und blieb so. „Akademisch“ habe ich mich da immer mehr als „Art brut“ definiert, als dem klassischen Kunstmarkt zugehörig.
GG: Ich erinnere mich an die frühen Sachen: Du hast mal ein Bild gemacht auf dem kleine Babypüppchen unter einem Sieb in Gips gefangen in Wellen liegen. Oder die „Freischwimmer“ oder die Plastikspielzeugsoldaten in einem Herz. Gehörten zu den Fundstücken auch die Puppenaugen?
HJG: Ja – Augen haben immer schon eine große Rolle gespielt.
GG: Was reizt dich daran?
Abbildung 6: Blaue Mumie
HJG: Weil es immer Gesichter waren, die mich interessiert haben, haben auch immer Augen dazu gehört – Augen, die nach außen gucken und welche die nach innen gucken. Oder nur Augen. Also habe ich auch Gesichter aufgelöst – so wie ich auch den ganzen Körper in seine Bestandteile zerlegt habe.
GG: Ich würde gerne noch mal auf die Resonanz eingehen, die Du auf Deine Arbeiten bekommen hast, denn ich erinnere mich, dass die fast immer sehr zwiespältig war.
HJG: Ja – ich habe eigentlich nie eine positive Rückmeldung bekommen. Außer von Kindern, die konnten da sehr spontan und neugierig mit umgehen. Aber Erwachsene – egal ob im privaten Bereich oder bei Ausstellungen – die reagierten fast ausnahmslos mit Befremden und oft wurden mir obszöne oder sadistische Motive unterstellt. Die Reaktionen waren immer extrem und die Objekte und Installationen haben polarisiert. Es gab oft Schweigen oder Abwertung oder eine Art „Vermeidung“ des Sichtbaren. Das kumulierte für mich im Kommentar eines Psychologen, in dessen Arbeitsräumen ich einmal eine Ausstellung gemacht habe, in der auch einige wenige der Puppenassemblagen zu sehen waren. Er meinte: „An einer Bleistiftzeichnung erkennt man den wahren Künstler.“
GG: Du hast ja nie große Absichten verfolgt, damit „auf den Markt“ zu gehen, aber Du hast doch ab und zu Ausstellungen gemacht oder auch mal was verkauft. Waren die Reaktionen da anders?
HJG: Nein – das war mehr oder weniger gleich. Zumindest das, was bei mir angekommen ist. Es muss die Menschen aber ja berührt haben, denn sie haben immer sehr heftig reagiert. Aber es gab wohl nur wenige, die sich damit auseinandersetzen wollten. Es gab Einzelne, die auch den humorigen Aspekt darin gesehen haben, und die sich z. B. eingeladen gefühlt haben, an den Objekten etwas zu ändern. Aber die meisten haben immer so getan, als wären die Sachen gar nicht vorhanden.
GG: War das nicht kränkend? Wie bist du damit umgegangen?
HJG: Kränkend? Nein. Ich fand das immer eher spannend. – Ich wollte ja die Provokation. Ich wollte auch keine klugen „Kulturkommentare“ im Sinne von „Was hat der Künstler sich dabei gedacht“ oder „Ich erkenne Ähnlichkeiten mit x y...“, sondern ich wollte sie ja reizen. Mir war klar, dass es eine heftige Reaktion auslöst und das habe ich auch bewusst gemacht, um die Betrachter mit ihren eigenen Reaktionen zu konfrontieren und sie zu zwingen einmal kurz ihre Maske zu lüften.
Abbildung 7: Mme Hortense
GG: Parallel dazu gab es ja bei Dir auch eine Entwicklung von der fragmentierten, verletzten Puppe hin zur Erschaffung eines menschlichen Abbildes. Das wiederum wäre ja jetzt das therapeutische Setting?
HJG: Na ja… Auch das Neu-Zusammensetzen, auch der besonders hässlichen oder kaputten Fragmente, war eine Art Neuschöpfung. Das Modellieren der Therapiepuppen war dann vor allem der Versuch, mich auf etwas scheinbar Realistisches einzulassen. Es ging ja um menschliche Gesichter oder um menschliche Wesen – und trotzdem sind es ja Puppen.
GG: Da muss ich noch mal den Begriff „scheinbar realistisch“ aufgreifen. Ich erinnere mich, dass die ersten Puppen, die Du in der Schweiz in der Ausbildung bei Käthy Wüthrich geschöpft hast, auch eher Karikaturen waren. Die allererste war ein weiß und blutrot geschminkter Mephisto. Oder später entstand eine wunderbare „Bubulina“, bei der war das Vorbild die Figur der Madame Hortense aus „Alexis Zorbas“. Oder auch so eine Art …. ja was eigentlich… Zauberer? Die waren ja alle schon sehr „eigen“, wie die Schweizer sagen.
HJG: Na ja – auch daran hat mich sehr gereizt, an Grenzen zu gehen – heute weiß ich ja auch warum: nämlich, dass das alles Anteile von mir sind. Und auch das hat ja am Anfang Befremdung hervorgerufen. Nicht nur in den Kursen bei den Teilnehmenden, sondern auch bei meiner Lehrerin: Käthy hat da den berühmten Satz gesagt: „In dir ist wirklich auch was Fremdes drin!“ Aber beim Schöpfen der Therapiepuppen tauchte auch wieder der Spaß und die Lust mit den Stoffen von ganz früher auf, nämlich die Puppen mit Kostümen auszustatten. Dass ich mich da austoben und im Material schwelgen konnte, kam mir total entgegen. Und das hat sicher auch wieder was mit meinem Vater zu tun, der immer gesagt hat: „Eigentlich sind wir Zirkuspferde.“ Wir sind ja als Flüchtlinge in der Umgebung immer Außenseiter gewesen und als Zigeuner bezeichnet worden. Und es gab so eine Haltung: wenn schon fremd, dann zelebrieren wir das auch. Wenn schon anders, dann wirklich anders. Und das zeigen wir auch in unserer Kleidung. Das sieht man z.B. auf Schulfotos, auf denen ich als einziger schon Jeans und T-Shirts statt Hemden trage. Das war eine der Möglichkeiten, auch da sofort aufzufallen.
GG: Ja – das zeigt sich deutlich in Deiner künstlerischen Arbeit, aber auch in Deiner beruflichen Biografie.
HJG: Das „Anderssein“ zum Beruf zu machen, dazu hatte ich keine Möglichkeiten, aber wenn wir jetzt so drüber reden, fällt mir das wirklich noch mal auf: egal was ich gemacht habe – wenn schon anders, dann aber auch wirklich anders.
Abbildung 8: Zauberer
GG: Das sich das äußerst fruchtbar auswirken konnte, hat sich ja später in unseren Kursen gezeigt, wo Du den Teilnehmenden durch Deine eigenen Erfahrungen Mut gemacht hast, ganz aus sich herauszugehen und Dinge zu probieren, die sie sonst nie gewagt hätten.
HJG: Ja – das war mir auch immer ganz wichtig. Ich habe immer versucht, anderen Mut zu machen für das, was möglich ist und an geheimen Wünschen vorhanden ist. Ich durfte als Kind ja schon früh meine geheimen Wünsche ausleben – und hier konnte ich das bei anderen fördern und unterstützen – in der Ausbildung, aber auch in der Therapie.
GG: Du hast ja immer gesagt, dass Dir im Verlaufe des Älterwerdens diese Art der Arbeit und des Tätig-Seins die Möglichkeit gegeben hat zu vereinen, was an den verschiedenen beruflichen Anläufen und Interessen alles so vorhanden war. Wenn ich das jetzt zusammenschaue, könnte man sagen: Wärst Du an einem anderen Ort oder zu einer anderen Zeit aufgewachsen, wäre aus Dir vielleicht eine Art Karl Lagerfeld geworden – aber so wie die Dinge lagen, fügte sich auf dem Umweg über die Kunst und die Puppen dann doch alles zu einem Ganzen. Die Puppen sind sozusagen die Verknüpfung von dem Interesse an der Mode, der Dekoration und am Menschen, gerade auch dort, wo er zerstört oder sich selbst entfremdet ist.
Abbildung 9: Aufstand des Herzens
HJG: Die Puppe ist ja immer irgendwie eine Projektionsfläche, an der ich alles ausleben konnte, was ich wollte. Ob ich sie nun angezogen, ausgezogen, zerschnitten und neu zusammengesetzt habe oder ganz und gar neu geschöpft habe. Und in den Kursen konnte ich bei den anderen das herauslocken, was auch für mich selbst wichtig war. Die Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Puppe hat mir immer gutgetan, das habe ich schon früh gespürt. Es gab genug Situationen, wo ich hätte abstürzen können. Situationen wo ich verzweifelt war und in Alkohol oder Drogen oder Depression hätte versinken können. Aber die künstlerische Auseinandersetzung mit den Puppen – auch mit den zerlegten Barbies – hat mir einfach gutgetan. Kunst und Therapie sind eigene Bestandteile, die sich zu einem Ganzen fügen, aber das Ganze lässt auch den einzelnen Teilen Raum. Das habe ich auch in der Beschäftigung mit dem „anderen Schöpfen“ der Therapiepuppen noch mal ganz stark gespürt. In diesem Prozess erfüllt sich etwas in einem selbst, ohne dass man sich auflöst. Diese Erfahrung – das habe ich versucht, in den Kursen auch anderen Menschen zu vermitteln und aus ihnen herauszulocken. Für mich geht das dabei sogar über die Puppe selbst hinaus, denn indem ich mich auch mit Bekleidung und Bühnenbildern noch weiter austoben konnte, habe ich diesen magischen Geschöpfen somit auch noch eine ganz eigene Welt geschaffen.
Abbildung 1: Barbiehimmel Hansjürgen Gauda
Abbildung 2: Geköpft Hansjürgen Gauda
Abbildung 3: Freischwimmer Hansjürgen Gauda
Abbildung 4: Ohne Titel Hansjürgen Gauda
Abbildung 5: Welt Hansjürgen Gauda
Abbildung 6: Blaue Mumie Hansjürgen Gauda
Abbildung 7: Mme Hortense Hansjürgen Gauda
Abbildung 8: Zauberer Hansjürgen Gauda
Abbildung 9: Aufstand des Herzens Hansjürgen Gauda
Jahrgang 1947; im tiefsten Emsland als achtes Kind geboren; im März 1945 war die Mutter mit sieben Kindern nach dreimonatiger Flucht aus Ostpreußen dort gestrandet, wo die Familie diskriminiert und ausgegrenzt wurde; seine Antwort war, früh in die Welt zu gehen und der Enge der Region den Rücken zu kehren; Kunst stand immer im Mittelpunkt; zum Broterwerb diente die Arbeit in der Gastronomie, später lange Jahre in der Kranken- und Altenpflege; ab Mitte der 1980er Jahre erstes Kennenlernen und Kurse im therapeutischen Puppenspiel bei Käthy Wüthrich; von 1996 an arbeitete er als Ausbilder im Frankfurter Fortbildungsinstitut für therapeutisches Puppenspiel, wo er schwerpunktmäßig den kreativen Teil des „Puppen Schöpfens“ übernahm; seit 2019 im Ruhestand, aber noch immer mit Puppen beschäftigt.
Korrespondenz-Adresse / correspondence address
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Jahrgang 1951; Diplompsychologin; wissenschaftliche Mitarbeiterin in entwicklungspsychologischem Forschungsprojekt zur Bindungsentwicklung; Dr. phil.; Kinder- und (systemische) Familientherapeutin; ab Mitte der 1980er Jahre erste Erfahrungen mit therapeutischem Puppenspiel bei Käthy Wüthrich (1931–2007) in der Schweiz; 1996–2019 Leitung des Frankfurter Instituts für Gestaltung und Kommunikation / Fortbildungsinstitut für therapeutisches Puppenspiel; seit 1977 mit dem Künstler Hansjürgen Gauda verheiratet.
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