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denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.5 Nr.1 (2022) | Rubrik: Fokus


Porno in der Puppenstube. Allen Jones, Jann Haworth und das Narrativ der sexuellen Verfügbarkeit im Kunstkontext

Tobias Lander



Focus: Narrative, Botschaften und visuelle Ästhetik figürlicher Puppen in Mode, Kunst, Fotografie und Film
Focus: Narratives, messages and visual aesthetics of figurative dolls/puppets in fashion, art, film and photography



Abstract:
Heteronormative männliche Überlegenheitsnarrative, in denen die Frau als dienend, verfügbar und benutzbar erscheint, kulminieren sowohl in älteren als auch moderneren Kunstäußerungen im Topos der gänzlich auf Passivität ausgelegten Puppe. Dieser Aspekt wird anhand der Werke der beiden Pop-Künstler:innen Allen Jones und Jann Haworth untersucht und zu vergleichbaren Plastiken anderer Künstler:innen und kultureller Puppen-Diskurse in Beziehung gesetzt. Während Jones lebensnah gestaltete Kunststoffplastiken von in Reizwäsche gekleideten Frauen, die gleichzeitig als Möbel fungieren, präsentiert, fertigt Haworth ihre French Maid aus Stoff und stopft sie mit Watte aus. Die Frau ist bei Jones offensichtlich eine hochgradig sexualisierte Männerphantasie, aber auch bei Haworth werden geschlechterrollenbezogene Stereotype bedient, die auf erotische Rollenspiele verweisen. Die Jones-Frauen wie auch Haworth‘ French Maid lassen sich im Kontext gesellschaftlich festgelegter Geschlechterrollen interpretieren: Die verdinglichten Frauenkörper beider Künstler:innen werden zu Zeichen, welche den gesellschaftlich tolerierten Sexus als repressiv entlarven.

Schlüsselwörter: Allen Jones, Jann Haworth, Pop Art, Schaufensterpuppe, Sexpuppe, RealDoll, Genderdiskurs, Sexismus, Uncanny Valley

Zitationsvorschlag: Lander T., Porno in der Puppenstube. Allen Jones, Jann Haworth und das Narrativ der sexuellen Verfügbarkeit im Kunstkontext.denkste: puppe – multidisziplinäre zeitschrift für mensch-puppen-diskurse, v. 5, n. 1, p. 18-25, 17 Okt. 2022. DOI: https://doi.org/10.25819/dedo/134

Copyright: Tobias Lander. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).

DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/9992

Veröffentlicht am: 17.10.2022

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Vom Verpuppen der Körper

Wenn ein Narrativ der sexuellen Verfügbarkeit in der Kunstgeschichte behauptet wird, mögen einem zunächst die unzähligen biblischen oder mythologischen Darstellungen von der von König David begehrten badenden Batseba bis zur von Zeus geraubten Europa einfallen, in denen Männer sich Frauen aneignen. Doch obwohl die männlichen Protagonisten die zögernden, abwehrenden, dennoch letztlich machtlosen Frauen mit Täuschung oder Gewalt bezwingen, bleiben die Unterworfenen trotz aller Ohnmacht Agierende und obwohl diese Werke nicht zuletzt als religiös oder humanistisch verbrämter Vorwand der Zurschaustellung des nackten weiblichen Körpers dienen, bleiben die Frauen Subjekt.
Spätestens mit Expressionismus und Surrealismus änderte sich dieser Blick auf den weiblichen Körper, der zu einem Objekt künstlerischer Obsession wurde. Schwadronierten Paul Hindemith und Oskar Kokoschka in ihrer 1921 aufgeführten expressionistischen Oper noch vom Mörder, Hoffnung der Frauen, während Otto Dix und George Grosz ‚Lustmörder‘ mit ihren zerstückelten Opfern auf Leinwand und Papier bannten, so sublimierten die Kubisten den modernen Topos des fragmentierten Frauenkörpers in stiltypischer multiperspektivischer Auflösung und Verzerrung. Die Surrealisten schließlich entdeckten die Puppe als Substitut: Als Objekt künstlerischer Veränderung wurden Schaufensterpuppen auf der Exposition Internationale du Surréalisme 1938 ins Joch oder in Ledermasken gezwängt, in Vogelkäfige gesteckt, zu Altarschreinen oder wie bei Kurt Seligmanns Ultramöbel zu einem aus vier angewinkelten Frauenbeinen bestehenden Hocker umfunktioniert (Mahon 2005, 22, 39, 44ff.). Hans Bellmer zerstückelte das Mannequin und fügte es neu zur berühmten La poupée (vgl. Abbildung 1), trotz des Skandals der unbeschränkten Verfügungsmacht diesmal ohne den Hautgout einer Morde feiernden moralischen Grenzüberschreitung wie bei den Künstlern der Weimarer Republik. Denn wenn Bellmer mittels seiner Deformationen die Bedrohung des eigenen Geschlechts durch das weibliche Geheimnisvolle zu überwinden sucht (Gauthier 1980, 264), schafft er „erotisch-pornographische Ungeheuer“ (Lampe 2001, 92) und dokumentiert keine Opfer und Täter wie bei den Lustmordschilderungen der Expressionisten. Dennoch wird die Puppe im Surrealismus zu einem der Künstlerphantasie ausgelieferten erleidenden Objekt, das durch die Menschenähnlichkeit stets den realen Frauenkörper mitmeint: Denn es sind vor allem weibliche Puppen, die von den Surrealisten zum Material erotisch aufgeladener Werke gemacht werden: „Heißt das nun, […] dass man immer von einem traditionellen Stereotyp ausgegangen ist, nämlich dem Frauenraub des Malers und der Hingabe des Modells?“, fragt Gilles Néret:

[…] Die Künstler selbst sind gestern wie heute unverbesserliche Machos, die der Frau nicht das Recht der Initiative zugestehen, ebensowenig das Recht, ihren Willen zu bekunden, Entscheidungen zu fällen, zu handeln. Vielmehr ist die Frau, die zu allen Zeiten und zu aller Gefallen die beherrschende Rolle in den plastischen Künsten gespielt hat, nur ein Objekt des Begehrens gewesen, eine aufblasbare Puppe, mit der der Künstler machen konnte, was er wollte (Muthesius, Riemschneider u. Néret 1998, 10)..

Abbildung 1 (La poupée)

Abbildung 1: Hans Bellmer, La poupée, 1935-36

Betrachtet man die Serie Hatstand, Tablel und Chair des britischen Pop-Künstlers Allen Jones (* 1937) (vgl. Abbildung 2), die in einer Auflage von je sechs Exemplaren produziert wurde, welche sich geringfügig unterscheiden, so ist man geneigt, Néret zuzustimmen. Jones‘ langbeinige, großbusige und mit Latexwäsche aus der Fetischszene bekleideten Frauen gaben aus feministischer Sicht ständig Anlass zu Kritik: „Es ist wahrscheinlich keine Kunst für Frauen“, vermutet Georg Syamken angesichts d Abbildung 1: Hans Bellmer, La poupée, 1935-36 er Plastiken: „Aber ist sie frauenfeindlich? Man muss die Frage bejahen, wenn man unterstellt, hier sei die Frau nur als Sexualobjekt artikuliert“ (Syamken 1986, 138). Doch erschöpft sich das Misogyne trotz der explizit sexualisierten Aufmachung der Figuren mit hochhackigen Stiefeln, enggeschnürten Miedern oder unterarmlangen Latexhandschuhen nicht darin, Frauen als Sexualobjekt anzusprechen. Was für Entrüstung sorgte und immer noch sorgt, ist weniger die explizit erotische Darstellung der Plastiken, ja noch nicht einmal deren ausdrücklich fetischistische Aufmachung, sondern ihre Funktion als Stuhl, Tisch und Hutständer. Mögen Werke, welche mittels eines Vorwands den voyeuristischen Blick des – heteronormativen männlichen – Betrachters bedienen, heute durch unseren geschärften Blick für Geschlechterdifferenz verdächtig wirken, so erscheinen Jones Frauen- Möbel absolut inakzeptabel: Unbewegt und passiv haben sie jeden subjektiven Gestaltungsspielraum eingebüßt, sind völlig Ding geworden. Dem verbreiteten Schluss, die Frauenakte der Pop Art seien „im Grunde nichts anderes als leichtherzige, witzige, in den Rang der Kunst erhobene Pornographie“ (Wilson 1975, 29 f.), widersetzen sich die Frauenmöbel von Jones dadurch ostentativ.
Als Pop-Künstlerin ordnet sich Jann Haworth (* 1942) zwangsläufig nicht dem Diktum Nérets unter und auch ihre French Maid (vgl. Abbildung 3) will sich nicht selbstverständlich an der Seite der hochgradig sexualisierten Puppen von Jones einfinden. Die aus textilem Material nachgebildete Frau in der typischen schwarz-weißen Uniform eines Zi m mer mädchens, ruht je nach Ausstellungssituation auf einer Chaiselongue oder einem anderen weichgepolster ten Sitzmöbel, die Beine ausgestreckt und locker übereinandergeschlagen. Es ist dieser laszive Ennui, die rosa geschminkten Lippen, die offenen Haare und der kurze Rock, die darauf verweisen, dass es hier nicht um eine haushälterische Tätigkeit geht, sondern dass die Arbeitskleidung als Attribut im sexuell erregenden Rollenspiel gemeint ist. Die French Maid ist in der Kunst der Pin-Ups ein Topos, der lediglich den Vorwand liefert, möglichst viel Haut zu entblößen (Riemschneider 2002, 133f., 669f., 675f.). Das Zimmermädchen vertritt – wie der blonde Surfer oder der Cowboy, den Haworth als Objekt vermeintlicher weiblicher Wunschvorstellungen ebenfalls fabriziert, die sexuelle Komponente eines Wunderlands voller Klischees, in dem Geschöpfe der Traumfabrik Hollywood ebenso Platz finden wie die Klein-Mädchen-Träume riesiger Schmuckstücke oder buntgemusterte Donuts (Lander 2012, 229, 253).

Abbildung 2 (Table und Chair)

Abbildung 2: Allen Jones, Hatstand, Tablel und Chair, 1969

Abbildung 3 (French Maid)

Abbildung 3: Jann Haworth, French Maid, 1966

Pygmalions Erbe

Trotz ihrer ‚Pophaftigkeit‘ gründen Haworth‘ Pin-up-hafte French Maid und Jones Frauen-Plastiken letztlich auf zwei antiken Mythenmodellen: Jener des Bildhauers Pygmalion mit seiner von ihm erschaffenen Elfenbeinstatue Galatea und jener der „lebenden Statuen“ des Daidalos bzw. der Automatoi des Hephaistos. Letztere werden als geniale Schöpfer technischer Apparate geschildert, die menschliche Bewegungen, Laute und sogar denkendes Verhalten zeigen. Hinsichtlich der raffinierten Imitation des menschlichen Körpers fügen sich alle hochtechnisierten realistischen Puppen von der ‚atmenden‘ Reborn-Puppe bis hin zu den kommunizierenden Real Dolls in diese Traditionslinien ein. Was die hyperrealistische Baby- und die High-Tech-Sexpuppe verbindet, ist deren Zuschnitt auf ein individuelles Bedürfnis sowie deren unmittelbare Verfügbarkeit (vgl. Runge 2020). Die Unerträglichkeit des Unerfüllbaren – ein Kind, eine Partnerin – wird durch das Substitut gemindert, wenn nicht aufgelöst. Dass diese Kompensation tragisch enden kann, zeigt ein Beispiel aus der Kunstgeschichte, versuchte Oskar Kokoschka doch seine Obsession für Abbildung 3: Jann Haworth, French Maid, 1966 Alma Mahler mittels einer Nachbildung der verlorenen Geliebten zu stillen, die er bei der bekannten Puppenmacherin Hermine Moos in Auftrag gab: „Ist der Mund zum Öffnen?

Abbildung 4 (Alma Mahler-Puppe)

Abbildung 4: Hermine Moos, Alma Mahler-Puppe, 1919

Und sind auch Zähne und Zunge darin? Ich wäre glücklich“. Die plüschige Alma- Mahler-Puppe (vgl. Abbildung 4) musste aufgrund ihrer dem Material angemessenen Anmutung enttäuschen, erwartete Kokoschka doch offensichtlich eine Art Frühform der lebensnahen Real Doll: „Ich bin ehrlich erschrocken über die Puppe, die, obwohl ich meinen Phantasien einen gewissen Abzug zugunsten der Realität zu machen bereit war, in zu vielen Dingen widerspricht, was ich von ihr verlangte und von ihnen erhoffte“, schrieb Kokoschka 1919 an die Puppenmacherin, „die äußere Hülle ist ein Eisbärenfell, das für die Nachahmung eines zottigen Bettvorlegerbären geeignet wäre, aber nie für die Geschmeidigkeit und Sanftheit einer Weiberhaut“ (Weber u. Elsen-Schwedler 2002, 41; Söntgen 1999, 125ff.).

Abbildung 4 (Self Portrait)

Abbildung 5: John de Andrea, Self Portrait with Sculpture, 1980

Künstler:innen, die lebensnahe Plastiken des Menschen zu ihrem Thema gemacht haben, messen sich ganz offensichtlich am antiken Mythos: Das Self Portrait with Sculpture (vgl. Abbildung 5) von John De Andrea (* 1941) zeigt den auf einem Arbeitshocker sitzenden Künstler mit Pinseln und anderen Arbeitsutensilien neben einer nackten Frau auf einem Sockel – ein Pygmalion des 20. Jahrhunderts. Das vom Künstler geschaffene lebensechte Inkarnat des Oberkörpers wächst aus dem marmornen Weiß der Beine und Unterarme seiner ‚modernen Galatea‘. Der Verweis auf den antiken Mythos schützt den Künstler in gewisser Weise vor dem Vorwurf, lediglich auf eine illusionistisch-täuschende Wirkung zu zielen, im Sinne eines platten Trompe-l’oeil Effekts der perfekten Imitation der Oberfläche. So wurde hyperrealistischen Bildhauern wie de Andrea bereits früh vorgeworfen, ihre lebensnahen Abbilder seien letztlich kaum mehr als die allenfalls handwerklich überzeugenden Schaustücke bei Madame Tussauds (Masheck 1975, 91; Levin 1975, 104 f.). Dass Künstler:innen sich auf Pygmalion berufen ist also nachvollziehbar, dass sie den Aspekt der sexuellen Verfügbarkeit dieser Kunstgeschöpfe thematisieren, erstaunt schon eher, da die Fallhöhe vom Kunstwerk zum Latex-Pendant aus dem Erotik-Shop mit dem Grad der Ununterscheidbarkeit wächst. Ist die Vorlage erkennbar ein vulgäres, massengefertigtes Gebrauchsobjekt, dessen intime Verwendung ein Publikum in der Regel ausschließt, erfährt das Kunstwerk eine zusätzliche Abwertung. Denn auch wenn seitens der Künstler: innen die Verbindung zu Sexpuppen nicht gesucht wird, werden allzu realistische Umsetzungen von der Kritik angeprangert: „Die Käufer entreißen den prosperierenden Pygmalions die serienmäßig angefertigte Schöne Galatea und und schleppen sie, wie Matrosen ihre aufblasbaren Weibchen, zu ästhetischer Beruhigung nach Hause“ (Schneede 2012, 39). Die Pygmalionerzählung ist eben nicht nur einer der berühmtesten Gründungsmythen der Kunst, sondern auch der geistige Urgrund der Real Doll, ist sie doch wie die antike Elfenbeinstatue des Bildhauers „ein künstlich erzeugtes Wesen, das für Sex erschaffen wurde“ (Mayor 2020, 143).
Stacey Leigh (*1971) und Louisa Clement (*1987) sind zwei Künstlerinnen, deren Arbeiten sich auf völlig verschiedene Weise und mit unterschiedlichen Intentionen mit Sexpuppen auseinandersetzen: Die Fotografin Leigh untersucht in ihren Tableaus die graduelle Ähnlichkeit von Puppe und Vorbild, als „Parabeln über die Macht mimetischer Schöpfungen“, um eine auf den Pygmalionmythos zielende Aussage der Robotikerin Elly Rachel Truitt umzuwidmen (Mayor 2020, 144), während

Abbildung 4 (Representative)

Abbildung 6: Louisa Clement, Representative, 2021

Louisa Clement ihren eigenen Körper zum Vorbild einer Serie von Real Dolls macht (Representative, 2021; vgl. Abbildung 6): Die unbelebten Substitute sollten durch motorengesteuerte Mimik und einen rudimentären aber noch dazulernenden Sprachcomputer lebendig wirken, zudem seien ihre Avatare „sexuell funktionsfähig“, betont Clemens. „Mehr sagt sie dazu nicht, aber man kann sich schon vorstellen, wie so eine Puppe funktioniert und wie sie sich dabei verhält, also eigentlich nicht verhält, wie sie einfach daliegt: unterwürfig, willenlos und stets verfügbar“ (Nietfeld 2021). Da die eigens programmierte Künstliche Intelligenz (KI) des Sprachcomputers auf der Persönlichkeit der Künstlerin basiert, macht die Künstlerin ihren Avatar zudem auf dieser im weitesten Sinne psychologischen Ebene durch den Nutzer verletzbar. Die Kunstäußerung Clements hat dadurch eine völlig andere Intention als beispielsweise das von John de Andrea auf der documenta 5 präsentierte kopulierende Paar (vgl. Abbildung 7).

Abbildung 7 (Arden Anderson)

Abbildung 7: John de Andrea, Arden Anderson and Nora Murphy, 1972

Zum einen trennt sie der zeittypische Diskurs, der sich heute anders als bei John de Andrea kaum mehr an der provozierenden Freizügigkeit entzündet, zum anderen ist das Werk des Hyperrealisten reine Repräsentation, erst recht da seine Puppen nicht denselben Platz wie die Zuschauer beanspruchten und so die vielzitierte Grenze zwischen Kunst und Leben ostentativ aufrecht erhielten: In einer durch eine niedrige Glaswand abgetrennten Ecke des Ausstellungsraumes räkelte sich de Andreas nacktes Pärchen auf einem Stück Teppich, was den Eindruck eines ‚Menschengeheges‘ erweckte. Clements Doppelgängerpuppen sind hingegen vor allem konzeptuell angelegt: Die Überlassung des eigenen Bildes zum beliebigen Gebrauch ist ein Skandalon, das selbstverständlich in Ausführung, aber auch als Gedankenspiel funktioniert: De Andreas sich selbst genügendes Paar kann nicht dergestalt wirken, fehlt hier doch die Leerstelle, die die reale oder imaginierte Akteur:in einnehmen könnte.

Im unheimlichen Tal

Dass Puppen nicht nur Begeisterung auslösen, belegen zahllose Foren, in denen den lebensnahen Ersatzmenschen mit Schaudern begegnet wird. Hier ist nicht jener Grusel gemeint, welcher das Puppenmotiv in Horrorfilmen erfolgreich gemacht hat, sondern das Unbehagen gegenüber der „perfekten Scheinlebendigkeit“ lebensnaher Nachbildungen (Sauer 1983, 23). Ortega y Gasset beschreibt diese „peculiar uneasiness aroused by dummies“: „Treat them as living beings, and they will sniggeringly reveal their waxen secret. Take them for dolls, and they seem to breathe in irritated protest. They will not be reduced to mere objects“ (Levin 1975, 107). Zwar resultiert die Fallhöhe zwischen liebenswertem Begleiter und tödlicher Bedrohung auch bei Horrorfilmpuppen von Chucky bis Annabelle aus der bereits im Spielzeug angelegten Kindähnlichkeit, viel stärker jedoch aus ihrem unnatürlich lebendigen Agieren. Doch auch ohne zum Leben zu erwachen, können lebensnah gestaltete Puppen einen verstörenden Eindruck hinterlassen: „Some people are repulsed by the dolls, while others are empathetic towards them“, stellt die Fotografin Stacy Leigh fest und erliegt selbst dieser Ambivalenz ihrer Modelle: „They had a strange effect on me. I was empathetic to them because they looked so real, but I also felt uncomfortable, like they were watching me“ (McGuire 2014, o. S.; Jauregui 2015, o. S.). Das Starren der Puppen findet sich durchgängig als Motiv der Irritation, so beispielsweise in Margaret Atwoods Five Poems for Dolls: „This is not a smile, / this glossy mouth, two stunted teeth; / the dolls gaze at us / with the filmed eyes of killers“ (Atwood 1978, 28). Insbesondere bei lebensnah gestalteten Puppen lässt einzig der starrende Blick zweifeln, es mit einem echten Menschen zu tun zu haben, so wie schon vor zwei Jahrhunderten E. T. A. Hoffmanns unwissentlich in den schönen Automaten Olimpia verliebter Protagonist Nathanael: „Und überhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe möchte ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offnen Augen. Mir wurde ganz unheimlich“ (Hoffmann 1986, 27). Betrachtet man Stacy Leighs Werke, in denen lebende Menschen mit Puppen interagieren, so fällt dieser Aspekt unmittelbar auf. Trotz des hohen Realitätsgrades entlarvt der tote Blick die Surrogate (vgl. Abbildung 8).
Das beschriebene unangenehme Gefühl gegenüber Puppen – von Horrorfilmfans durchaus als delightful horror geschätzt – kann sich bei angstgestörten Personen gar zur Automatonophobie auswachsen (Ballion 2012). Die Betroffenen fürchten sich vor unbelebten Wesen, die so wirken, als seien sie lebendig. Dabei spielt insbesondere der Grad der Menschenähnlichkeit eine Rolle, der als Uncanny-Valley-Effekt beschrieben wird. Dieser bereits 1970 vom japanischen Robotiker Masahiro Mori geprägte Begriff, bezeichnet die Akzeptanzlücke menschenähnlicher, aber als künstlich erkannter Ersatzmenschen. Die Akzeptanz eines androiden Roboters, einer Filmanimation, eines Computerspiel-Avatars oder eben einer Puppe steigt zunächst mit zunehmender Menschenähnlichkeit an, wenn sich aber die Simulation morphologisch stark an das lebendige Vorbild annähert, kippt das Akzeptibilitätsurteil jedoch plötzlich ins Negative: Die Kopie erscheint zu realistisch, um nicht echt sein zu wollen. Aber sie erscheint nicht realistisch genug, um zu vertuschen, dass sie nicht echt ist. Unser evolutionär auf ständigen Abgleich menschlicher Physiognomie, Gestik und vor allem Mimik trainiertes Gehirn kann diesen Konflikt nicht lösen und lehnt die Täuschung ab. Dieser paradoxe Effekt einer Ablehnung des beinahe – aber eben nur beinahe – perfekten Abbilds erscheint in Diagrammen als tief eingeschnittener Graph, eben als Uncanny Valley, als unheimliches Tal (Hsu 2012; Asmussen 2022).
Dieses Phänomen hat Auswirkungen auf die Rezeption der hier betrachteten Kunstwerke. Die mit Sexpuppen nachgestellten Szenen von Stacy Leigh bewegen sich tief in diesem unheimlichen Tal, wenngleich die Künstlerin den Effekt zu variieren scheint: Tatsächlich irritieren hochartifizielle Aufnahmen der Künstlerin, in denen geschminkte Puppen mit künstlichen Schweißperlen, Tränen oder Speichelfäden realistischer wirken sollen, stärker als jene, in denen die Kunstwesen durch bewusste Störungen des Abbildhaften, etwa durch sichtbare Gussgrate der Silikonhülle oder unnatürlich erscheinende Posituren, leicht als solche erkennbar sind (vgl. Abbildungen 8 u. 9). Die Aspekte der Künstlichkeit werden von Stacy Leigh in ihrer gesamten Bandbreite behandelt, wobei die Diskrepanz zwischen den Sexpuppenfotos der Reihe Average Americans und den ebenfalls in ihrem OEuvre vorhandenen Aufnahmen realer Menschen (Actual Humans), die ostentativ keine Idealkörper zur Schau stellen, offensichtlich ist (Leigh 2022). Doch selbst wenn die Puppen menschlich und die lebenden Modelle puppenhaft wirken sollen: Objekt und Subjekt bleiben zumindest graduell stets geschieden.

Abbildung 8 (Actual Humans)

Abbildung 8: Stacy Leigh, Actual Humans, 2015

Dass die hyperrealistischen Skulpturen eines John de Andrea trotz ihrer extremen Menschenähnlichkeit nicht auf Ablehnung stoßen, liegt zum einen daran, dass der Kunstbetrachter gewohnt ist, mit Irritationen umzugehen, vielmehr erwartet er diese in einer Ausstellung moderner oder zeitgenössischer Kunst geradezu. Dabei bleiben de Andreas Plastiken als Akte kunsthistorischen Traditionslinien eingeschrieben, erst recht, wenn er seine Figuren an Mythologie oder berühmte Kunstwerke anlehnt oder sie mittels grisailleartiger Farbgebung vom menschlichen Vorbild entfremdet (Lander 2016, 235ff.). Was bleibt, ist die Sensation des Trompe-l’oeil. Dieses Vergnügen an der Täuschung steht dem oben beschriebenen Uncanny-Valley-Effekt diametral entgegen, da die quasiperfekten Nachbilder stets als Artefakte erkennbar bleiben müssen. Während die RealDolls und Reborn-Puppen vorgaukeln, äußerlich und im Gebrauch menschlich zu sein und diese Illusion möglichst weitgehend aufrechterhalten wollen, kann das Trompe- l’oeil nur funktionieren, wenn die Illusion in einem Moment des Staunens aufgelöst wird.

Abbildung 9 (Average Americans)

Abbildung 9: Stacy Leigh, Average Americans, 2014

Was bedeuten diese Betrachtungen nun für die Werke von Allen Jones und Jann Haworth? Zunächst einmal erscheint die French Maid zu stoffpuppenhaft, um mit einer tatsächlichen Frau verwechselt zu werden, wenngleich manchmal behauptet wird „there are figures by Jann Haworth that look so real that one’s suspicions are immediately aroused“ (Melville 1971, 2). Gerade wenn man weiß, dass die Künstlerin die „most beautiful ideal woman“ schaffen wollte, erstaunt die Machart, die der mimetischen Perfektion einer hyperrealistischen De Andrea-Plastik oder gar einer Real Doll beinahe so diametral entgegensteht wie die plüschige Puppe Oskar Kokoschkas. Der Grad der Menschenähnlichkeit, den Leigh in Nuancen auslotet, ist bei Haworth im direkten Vergleich allenfalls summarisch. Zudem wirkt die diese Stoffpuppenhaftigkeit bedingende Technik in einer Zeit, in denen sich Künstlerinnen neue Räume erobern, geradezu altbacken. Dennoch hat sie einen Sinn: Zum einen vermeidet Haworth hier den Uncanny-Valley-Effekt, da ihre Puppe deutlich als menschenähnliche Puppe erkennbar bleibt. Scheinlebendigkeit existiert allenfalls auf den ersten flüchtigen Blick und ohne den Schauder des Zweifelnmüssens. Desweiteren versteht die Künstlerin die ‚typisch weibliche‘ Machart ihrer Objekte als eine bewusste Abgrenzung zu tradierten Repräsentationsformen männlicher Bildhauerkollegen

I was determined to be better than them, and that’s one of the reasons for the partly sarcastic choice of cloth, latex and sequins as media. It was a female language to which the male students didn’t have access,

so Jann Haworth:

Soft, Warm, Changeable, Flexible. This was the main turning point for ‚why‘ on fabric […]. It was quite quite repulsive to me to think of bronze as a representation. When Paolozzi [Eduardo Paolozzi, ihr Lehrer an der Slade School of Fine Arts, London, T.L.] saw my work for the first time […] he said: ‚Cast it in bronze‘. I told him that I had cast it in cloth and that was the point (Bigham et al. 2007, 36).

Die Puppenhaftigkeit der French Maid wird hier also auch zu einem Statement zu Geschlechterdifferenz und Künstler:innenkonkurrenz.
Umso mehr erstaunt die Wahl des Motivs als einer passiv dasitzenden sexuell aufgeladenen French Maid, der das Verfügbarsein und Bedienende qua Habitus und Kostümierung eingeschrieben ist. Doch auch die Genese des Werks erzählt vom genderpolitischen Bewusstsein der Künstlerin – obwohl dieser Begriff noch nicht existierte: Ursprünglich sollte die French Maid ein Playboy Bunny darstellen, gedacht als Geburtstagsgeschenk für den Playboy-Gründer Hugh Hefner. Haworth erzählt von ihrem Versuch, die Bunny-Uniform für ihre Puppe zu bekommen:

When she was finished, she was bare and ready for her fitting, which was to take place at the now-open Playboy Club. I was to take her in and select the costume that I thought was the appropriate color and material. The resident dressmaker at the club was to make it. I was anticipating the velvet outfit, rather than the satin standard Bunny garb. When I arrived the dressmaker woman was not ready to see me. I was asked to wait in a corridor outside the main club area – not an area for public access but behind the scenes, taggy and cold. Bunnies came and went; they smoked, took breaks. Tuxedoed male minders patrolled, keeping the girls “at it,” rudely bossing them about if they paused when working or took too long over anything. There was a steady flow of employees, and pretty much without exception the men took note of the doll and offered a sneer / a grope / a remark that they considered tasty (and I found consistently slimy) […]. I was completely pissed off and had come to the conclusion that this kind of male attention was what was going to happen to this figure from now on. I was hugely angry and walked out […]. I really liked this figure and wondered how to give her a new identity. The Bunny was utterly out. I wanted something that was not crass. I was completely comfortable with her being sexually endowed, but where was that to go without her just being an object? […]. So French Maid to me was good stuff. French women didn’t reside in my mind as chic, but more pert, independent, self-assured, sexy. The France of my mind was racially mixed and assertive. It wasn’t Playboy (Haworth 2015, o. S.)..

French Maid ist also weniger die Annäherung an ein Stereotyp, sondern vielmehr die Rückeroberung einer erotischen Phantasie, die durch die Bildwelten der Männermagazine zum Klischee degradiert wurde. Gleichzeitig gibt sie ein deutliches Statement zum letztlich rassistischen Frauenbild des Playboy ab, dessen Centerfolds in der Mehrzahl jung, weiß und blond zu sein hatten. Ähnliches machte Haworth auch mit Ihrem lässig an der Wand lehnenden Cowboy (vgl. Abbildung 10) zum Thema: Trotz dessen Klischeehaftigkeit besitzt das Werk politischen Anspruch, da seine durchgehend weiße Farbe auf den vorherrschenden Rassismus verweist, welcher sich der Künstlerin Mitte der 1950er bei einem Rodeo in Texas offenbarte:

It’s a conflicted Adonis […] on the one hand a gorgeous seductive image, on the other an utterly stupid, prejudiced jerk (I was appaled […] to see the rest rooms and the water fountains in Texas were segregated: ‚White Ladies‘ one one and ‚Black Women‘ on the other). The whiteness of the Cowboy was partly about this“ (Bigham et al. 2007, 36).

Mit French Maid decouvriert Haworth die repressive Normierung der Frau unter körperlichen und ethnischen Aspekten, und dadurch, dass ihre Puppe bei aller beabsichtigten Mainstream-Sexiness offensichtlich eine weiblich konnotierte Näharbeit ist, verunmöglicht sie die Vereinnahmung durch den männlichen Herrschaftsblick. Aufgrund der physikalischen und haptischen Eigenschaften des textilen Materials disqualifiziert sich Haworth‘ Puppe als Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Zudem bricht Jann Haworth die Geschlechterstereotypen durch die Wahl des als weiblich konnotierten Mediums auf: Selbst wenn Haworth Donuts and Coffee Cups (vgl. Abbildung 11) nachbildet, thematisiert sie geschlechterdifferente Projektionsfläche, überzieht sie die Machosymbole amerikanischer Cops doch mit zartem blauen Blümchenmuster. Obwohl die Aufmachung der Jones-Plastiken einen Bezug zu sexuellen Praktiken knüpft, in welchen Lust aus Unterwerfung und Erniedrigung entsteht, wirken sie geradezu lustfeindlich: Mit ihrer kühlen Perfektion und dem beschriebenen unbehaglich starren, niemanden ins Auge fassenden Blick wehren sie jeden Anspruch des sexuellen Stimulans ab. Das Gesicht der Hutständer-Dame kündet von demonstrativem Desinteresse am Gegenüber, die als Stuhl dienende Frau hat die Augen niedergeschlagen und die Kniende in Table blickt zu Boden: Ihr Autismus erlaubt ihnen allenfalls die Selbstbetrachtung mittels eines Spiegels. Sie sind keine Wunschbilder, wie die Centerfold-Schönheiten der Männermagazine, deren Reiz im Versprechen ihrer prinzipiellen Erreichbarkeit liegt, keine All-American-Girls, deren offene Blicke den Betrachter zum Dialog oder mehr einladen. Die Plastiken von Jones sind eben nicht deutbar als „Anstöße in Richtung auf eine sportliche Seite sexueller Praxis […], was man weniger als Empfehlung als vielmehr als eine enttabuisierende Entkrampfung verstehen sollte“, da „die Sportlichkeit der Sexualität selbst […] so fiktiv wie die gynäkologischen Mirakel von Männerphantasien“ sei:

Abbildung 10 (Cowboy)

Abbildung 10: Jann Haworth, Cowboy, 1963/64

Der Spielraum der Phantasie hinsichtlich der Nutzung als Möbel ist groß. Er sichert die Lebensnähe des Objekts, fühlt man sich doch am wohlsten mit Dingen, in deren Umgang man geübt ist. Das heißt, die Übung im Umgang mit Tischen, Sitzgelegenheiten und Hängevorrichtungen lässt angesichts der figuralen Gestaltung an andere Gewohnheiten denken, über die man weniger offen spricht,

bemerkt Syamken in verbaler Duplizierung der Jones unterstellten Misogynie (Syamken 1986, 138 f). Doch inwiefern sollte der „Spielraum der Phantasie hinsichtlich der Nutzung als Möbel“ groß sein? Was anderes könnte der Benutzer tun, als auf dem Chair zu sitzen, den Table als Tisch zu benutzen oder ein Kleidungsstück an den Hatstand zu hängen? Schon Letzteres scheint anmaßend, fordert die Stehende von Jones in ihrer emotionslosen, hieratischen Pose doch geradezu Respekt ein: Denn die Plastik ist nicht lebensgroß wie die mimetischen Skulpturen de Andreas, wie fälschlicherweise häufig zu lesen ist, sondern 190 cm groß, also weit von der Durchschnittsgröße einer realen Frau entfernt. So erscheint die Größe des Hatstands – trotz der hochhackigen Stiefel, welche die als Hutständer dienende Frau trägt – jenseits eines als normal empfundenen menschlichen Maßes, was den erwähnten Uncanny-Valley-Effekt verstärkt und eher beunruhigend wirkt. Des Weiteren finden auch andere Körpermaße der Plastiken wie die schmale Taille, die überlangen Beine oder die perfekte Symmetrie der großen Brüste mit den steil aufragenden Brustwarzen der Stehenden kaum eine Entsprechung in der Realität: Der Künstler zitiert hier Archetypen aus speziellen Fetischmagazinen der 1940er und 1950er Jahre wie Bizarre oder Exotique, deren Schöpfer mittels in Fetischkleidung wie Korsagen gezwängter fotografierter Modelle oder gezeichneter langbeiniger Pin-Ups mit Wespentaille einen eher sanften Sadomasochismus bedienten. Diese Idealkörper in ihren verschiedenen Rollen befriedigten Phantasien, welchen eine wirkliche Frau kaum entsprechen konnte. Für seine Möbel-Frauen verpflichtete Jones einen auf Kunststoffe spezialisierten Berufsbildhauer, der die Körper nach seinen Angaben zu formen hatte, wobei die Körpermaße der Jones-Frauen nach den Maßstäben menschlicher Anatomie letztlich unüblich verzerrt ausfielen. Mit ihren auf größtmögliche sexuelle Stimulanz abzielenden, idealisierten Proportionen sind die Figuren von Jones – am überzeugendsten die hochaufgerichtete Hutständer- Frau – allgemeingültige und treffende Kommentare zur Tradition körperästhetischer Wunschvorstellungen und zwar sowohl im Hinblick auf künstlerische Plastik als auch auf den unter dem Druck dieses Ideals gestaltbaren menschlichen Körper (Lander 2012, 234 f.).
Zum sexuellen Akt gar – auch zum fiktiven – taugen die Plastiken nicht, obwohl zumindest bei Chair und Table die Haltung der Frauen gängige Sexstellungen evoziert. Die betonte Passivität der Frauen und die lancierte Aktivität des Mannes bieten im Versuchsaufbau von Jones keinerlei Vorteil: Es sind gerade der große quadratische Ledersitz und die gläserne Tischplatte, welche den Gebrauch reglementieren und somit die Figuren ihrer sexuellen Funktion berauben und sie letztlich ‚unpenetrierbar‘ machen. Sie haben nichts mit obsessiven Künstlerphantasien von der Art der Kokoschka-Puppe zu tun, genauso wenig verbindet die Jones-Frauen mit den modernsten Menschenautomaten, welche als Substitut der Frau zum männlichen Sexualpartner der Zukunft avancieren sollen (Bethge 2007, 154 ff.; Fröhlich 2018). Obwohl in ihrem ‚idealen‘ Aussehen und ihrer puppenhaften Wehrlosigkeit den Real- Dolls verwandt, sind die Pop-Plastiken ungeeignet, um im Spiel mit Körpern und Gliedern Phantasien zu erwecken und zu befriedigen. Ihr Körper ist nicht von lebensnaher Elastizität, sondern wie bei einer Schaufensterpuppe bloß harte Kunstharzhülle, und schon die kleinste Berührung muss den sexuellen Reiz als rein optischen entlarven. Allen Jones stattet seine in höchstem Maße artifiziellen Frauen mit sexuellen Reizen aus, um sie dem Interessierten entziehen zu können. Das Versprechen der aufreizenden Körper wird in keinem Moment eingelöst: Seine Frauen sprechen weniger von libertinärer Enttabuisierung und sexueller Phantasie und schon gar nicht von auslebbarer Obsession, sondern von der Entfremdung des modernen Menschen selbst im Privatesten und Intimsten.
Dass es Jones trotz seiner hochgradig sexualisierten Bildsprache um von Konformitätsprinzipien und Stereotypen beherrschte Geschlechterdefinitionen geht, lässt sich auch an Werken wie Maid to Order III (vgl. Abbildung 12) ablesen, welches beispielsweise die Transformation von Transpersonen thematisiert. Die dargestellte Verwandlung vom Mann – repräsentiert durch einen Anzug mit Hut, der surrealistisch ohne Träger aufrechtsteht – zur Frau, welche auf High Heels im hautengen, durch einen Gürtel taillierten, knapp knielangen Kleid, unter dem sich die Jones-typischen riesigen Brüste mit den erigierten Brustwarzen dominierend abzeichnen vom Anzug wegschreitet, zeigt eine Metamorphose von bloßer Kleidung zu bloßem Körper und damit einen männlichen als auch weiblichen Stereotyp.

Abbildung 12 (Maid to Order III,)

Abbildung 12: Allen Jones, Maid to Order III, 1971

The prime constant […] ist that masculine and feminine identities are never represented in an individualized form, but instead are always summoned forth in a generalized, symbolic guise, as a piece of clothing or as faceless anatomy. Such a depersonalized treatment of the human image, which was to lead in the 1970s to the misleading accusations of sexism levelled at Jones, was essential to the operation of his imagery on a more abstract and conceptual level, and it permeates his treatment of male and female alike (Livingstone 1995, 16).

Das transportierte Frauenbild entspringt deshalb nicht ausschließlich zeittypischer Libertinage, vielmehr bringen sich die Kunstwerke kritisch in den Diskurs um gesellschaftlich festgelegte Geschlechterrollen und deren Überwindung ein.Folgt man dieser Deutung, so lassen sich die die ‚Frauenmöbel‘ von Jones den Emanzipationstendenzen der 1960er Jahre unterordnen. „Suppose my sculptures did underline a human condition“, bemerkt Allen Jones: „When Goya painted a blood bath, it did not follow that he condoned it“ (Webb 1982, 373).
Die Bedürfniserfüllung der zum beliebigen Gebrauch bestimmten Substitute verweigern sich alle angeführten Kunstwerke qua ihrer Materialität, aber auch durch die Kategorienverschiebung zum Kunstwerk. Selbst Louisa Clements RealDoll behauptet ihren Status als ‚unpenetrierbares‘ Kunstobjekt, hieße dies doch, den kunstmarkt- und medienkritischen Aspekt, der letztlich die Puppe erst als Kunstwerk definiert, zu verneinen. Trotz der Sensation des Tabubruchs bewegen sich alle Werke in einem am Diskurs interessierten intellektuellen Umfeld, verfügbar sind sie als conversation pieces nicht als sexuelles Stimulans. Das Narrativ der sexuellen Verfügbarkeit dient so als Vehikel gender-, kunstmarkt- oder technologiekritischer Interpretationsangebote. Dies gilt auch für Haworth und Jones: Statt die Jones-Frauen also als misogyne, pornographische Männerphantasien abzutun und Haworth eine weibliche ‚Puppenstubenästhetik‘ vorzuwerfen, lassen sich beide im Kontext eines Diskurses um gesellschaftlich festgelegte Geschlechterrollen interpretieren: Die verdinglichten Frauenkörper der beiden Pop-Künstler:innen werden zu Zeichen, welche den gesellschaftlich tolerierten Sexus als klischeehaft und schlussendlich als repressiv entlarven. Der moderne Pygmalion erfüllt weiterhin seine Bedürfnisse, aber diese sind politisch.


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Abbildungsverzeichnis

(Soweit nicht explizit ausgewiesen, stammen die Fotos aus dem Archiv des Autors und des Kunstgeschichtlichen Instituts der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.)

Abbildung 1: Hans Bellmer, La poupée, 1935-36 (mit Teilen von 1933-34 und Ergänzungen und Überarbeitungen von 1945 und 1970-71), bemaltes Holz, Pappmaché, Leim und Farbe, Haare, Schuhe, Socken, 61 x 170 x 51 cm, Centre Pompidou / Musée d’Art Moderne, Paris © VG Bild-Kunst, Bonn 2022.

Abbildung 2: Allen Jones, Hatstand, Tablel und Chair, 1969, Fiberglas, Leder, Naturhaar u.a., Ludwig Forum für internationale Kunst, Aachen © Allen Jones (Foto: Anne Gold, Aachen).

Abbildung 3: Jann Haworth, French Maid (in der Ausstellung International Pop, Walker Art Center, Minneapolis, 2015), 1966, div. Textilien u.a., 109,2 x 96,5 x 147,3 cm, Walker Art Center, Minneapolis © Jann Haworth (Foto: Gene Pittman / courtesy of the Artist).

Abbildung 4: Hermine Moos, für Oskar Kokoschka hergestellte Puppe (Alma Mahler), 1919 (1920 zerstört), div. Textilien u.a., lebensgroß; im Besitz der Universität für angewandte Kunst Wien, Oskar-Kokoschka-Zentrum.

Abbildung 5: John de Andrea, Self Portrait with Sculpture, 1980, Öl auf Polyvinyl, Mischtechnik, lebensgroß, Privatsammlung © John de Andrea.

Abbildung 6: Louisa Clement, Representative, 2021 (Ausstellung Counterpain, Cassina Projects, Mailand, 2021/22), Real Doll, Kleidung u.a., lebensgroß. Courtesy: Louisa Clement.

Abbildung 7: John de Andrea, Arden Anderson and Nora Murphy (documenta 5, Kassel, 1972), 1972, Öl auf Polyesterharz und Fiberglas u.a., 61 x 201 x 94 cm, Museu Coleção Berardo, Lissabon © John de Andrea (Foto: Brigitte Hellgoth © Documenta-Archiv).

Abbildung 8: Stacy Leigh, Actual Humans, 2015, Fotografie © Stacy Leigh, New York / courtesy of the artist.

Abbildung 9: Stacy Leigh, Average Americans, 2014, Fotografie © Stacy Leigh, New York / courtesy of the artist.

Abbildung 10: Jann Haworth, Cowboy, 1963/64, © Jann Haworth (Foto: Pallant House Gallery, Duncan McNeill / courtesy of the artist).

Abbildung 11: Jann Haworth, Donuts and Coffee Cups, 1963 © Jann Haworth / courtesy of the artist.

Abbildung 12: Allen Jones, Maid to Order III, 1971, Öl auf Leinwand, 182,9 x 139,7 cm, Waddington Galleries, London © Allen Jones.

Über die Autorin / About the author

Tobias Lander

Lehrbeauftragter am Kunstgeschichtlichen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau / Lehrer an der Badischen Malerfachschule Lahr. Studium an der Schule für Gestaltung Basel und der Universität Freiburg, 2009 Promotion. 2001 Preisträger der Dr. Peter Deubner-Stiftung für aktuelle kunsthistorische Forschung, 2010 Finalist des Terra Foundation for American Art International Essay Prize. Forschungsschwerpunkte: Moderne und zeitgenössische Kunst und Fotografie, Designgeschichte, kunstwissenschaftliche Hermeneutik.

Tobias Lander

Korrespondenz-Adresse / Correspondence address:

tobias.lander@kunstgeschichte.uni-freiburg.de