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denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.5 Nr.1 (2022) | Rubrik: Fokus


Das Pimperltheater – Eine sehr persönliche Theatergeschichte und kleine Geschichte des Theaters. Rezension zu Helmut Birkhan: Eine kleine Theatergeschichte oder Der Lauf der Welt auf dem erbaulichen Kinder-Marionettentheater

Julia Waldorf



Focus: Puppentheater – Puppenspieler, Automatisierung, Geschichte(n)
Focus: Puppet theatre – puppeteers, automation, stories and history



Abstract:
Die vorliegende Rezension stellt die digital erschienene, mit sehr persönlicher Handschrift geschriebene „Kleine Theatergeschichte“ des Mediävisten und Keltologen Helmut Birkhan vor, in der er vielfältige Einblicke in seinen umfassenden privaten Fundus zur Welt des Miniaturtheaters und Wienerischen Pimperltheaters gibt.

Schlüsselwörter:Miniaturtheater, Requisiten, Theaterstücke, Spielfiguren

Zitierhinweis: Waldorf J.,Das Pimperltheater – Eine sehr persönliche Theatergeschichte und kleine Geschichte des Theaters. Rezension zu Helmut Birkhan: Eine kleine Theatergeschichte oder Der Lauf der Welt auf dem erbaulichen Kinder-Marionettentheater., v. 5, n. 1, p. 18-25, 17 Okt. 2022. DOI: https://doi.org/10.25819/dedo/140

Copyright: Julia Waldorf. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).

DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/9992

Veröffentlicht am: 17.10.2022

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Birkhans kleine und (ganz) private Pimperltheater-Geschichte

Der Mediävist und Keltologe Helmut Birkhan hat in seinem digital erschienenen Buch Eine kleine Theatergeschichte oder Der Lauf der Welt auf dem erbaulichen Kinder-Marionettentheater1 von 2021 seinen privaten Fundus von einer Miniaturtheater-Form dokumentiert, die im Wienerischen Pimperltheater genannt wird (vgl. Abbildung 1). Dabei hat er nicht nur die Bühne, Spielfiguren, Kulissen und Requisiten auf originelle Weise für Leser:innen zugänglich gemacht, sondern haucht diesen durch die Schilderungen seiner eigenen Erfahrungen ‚Leben‘ ein. Nach Birkhan handelt sich beim wienerischen Pimperltheater um „ein Papiertheater mit plastischen Figuren, also Marionetten“ (Birkhan 2021, 273).
Das Papiertheater gilt als eine Miniaturtheater-Form bei der mithilfe einer Kulissenbühne ‚in Kleinform‘ bekannte Schauspiele und Opern im häuslichen Kreis des Bürgertums nachgespielt wurden. Es entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und war noch bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts beliebt, wurde aber mit der Zeit aus den Wohnzimmern in die Kinderzimmer ‚verlegt‘. „Es gab Bauanleitungen für die Bühne und für die Dekorationen. Bis hin zu den Textbüchern wurde von den Verlagen alles geliefert.“ (Plötz 1981, 4). Beliebt waren Klassiker wie Schillers Wilhelm Tell, Opern wie Webers Freischütz sowie Märchenstoffe wie Hänsel und Gretel:

Abbildung 1 (Theatergeschichte)

Abbildung 1: Birkhan, Helmut: Eine kleine Theatergeschichte oder Der Lauf der Welt auf dem erbaulichen Kinder-Marionettentheater. Kindle Ausgabe. ASIN: B09HPXHM6W.

Waren nach mühevollen architektonischen und technischen Leistungen das Bühnenhaus und die Dekorationen inklusive Beleuchtung erbaut, dann begann erst das eigentliche Erlebnis, wenn die ganze Familie, Freunde und Bekannte eingeschlossen, vor dem noch geschlossenen Vorhang saßen und mit Spannung erwarteten, was er ihnen enthüllen würde, sobald er sich öffnete. (Plötz 1981, 5).

Ähnlich wie das Papiertheater war auch das Pimperltheater für den familiären Hausgebrauch gedacht: Nuancierte Unterschiede beim Bespielen dieser beiden Formen werden unter anderem im hier vorgestellten Buch anhand von Birkhans eigenen ‚praktischen‘ Spielerfahrungen und dem beigefügten Fotomaterial bildlich veranschaulicht. Die ganz ungewöhnliche Publikation erlaubt einen faszinierenden Einblick in die Welt von Birkhans eigenen privaten Pimperltheater-Fundus, der aus einer Miniaturbühne, Kulissen, Requisiten sowie Marionetten und anderen Spielfiguren besteht. Gleichzeitig wird damit die Geschichte seiner persönlichen (Kindheits-)Erfahrungen und seine Erlebnisse mit dieser Form des Miniaturtheaters verknüpft.

Das Buch Eine kleine Theatergeschichte besteht aus den folgenden drei Teilen: • Es beginnt mit einem von Birkhan selbstverfassten fiktionalen Erzähltext, der in seiner Wirkung einer Theateraufführung gleichkommt. Dank des ausgiebigen Bildmaterials von dem ‚in Szene gesetzten‘ Pimperltheater-Bestand, entsteht ein dichtes Text-Bildverhältnis. • Es folgt ein ausführlicher Anhang, der sowohl aus sachkundigen als auch humoristisch-fiktiven Anmerkungen und Kommentaren zum genannten Erzähltext besteht sowie aus einer Übersicht der ‚dramatis personae‘ und der ‚Szenenfolge‘. • Den Schluss bildet der Abschnitt Eine kleine Theater-Geschichte, der aus einem persönlichen Blickwinkel eine sehr informative und sachkundige Schilderung vom eigenen Gebrauch des Miniaturtheaters gibt, welche angereichert ist mit Verweisen auf persönliche Erfahrungen bis hin zu einer kurzen Darstellung des österreichischen Vertriebs von Papiertheaterbögen und Stücktexten.

Den Hauptanteil im Buch macht die genannte ‚erzählte-Theateraufführung‘ aus, die aus fünf Akten und einem Vorspiel besteht. Diese ist mit mannigfaltigem Bildmaterial aus dem eigenen Pimperltheater-Fundus unterlegt. Birkhan beschreibt sein Vorgehen bei der Dokumentation seines Miniatur-Theaterfundus sowie seine eigenen Erfahrungen wie folgt:

Die vorliegende ‚Aufführung‘ ging von der grundsätzlichen Spielregel aus, daß alle Personen, Tiere, Geister usw. aus meinem Fundus mindestens einmal auftreten sollen und daß ebenso alle restlichen Utensilien wie Dekorationen, Möbel und Kleinteile […] mindestens einmal in Funktion zu sehen sein müssen. […] Zu diesem Behufe habe ich mehr oder minder willkürlich Hunderte Bühnenbilder zusammengestellt und photografiert und mir aus diesem Fundus eine Handlung ausgedacht, deren Rückgrat die Fausthandlung sein mußte, die aber durch viele Episoden ergänzt werden sollte [.] (Birkhan 2021, 278).

Das Produkt seiner spielerischen Herangehensweise ist ein weitverzweigtes und an manchen Stellen für die Leser:innen nicht immer ganz leicht nachzuvollziehendes Handlungsgeschehen, das gleichzeitig aber den abfotografierten Objekten ‚Leben und Dynamik‘ einhaucht und die Leser:innen zum heiteren Schmunzeln verleiten mag.

Birkhans kleine, persönliche ‚Theatergeschichte‘

Im abschließenden Beitrag Eine kleine Theater-Geschichte gibt Birkhan noch einmal relevante Hintergrundinformationen zu der hier behandelten Thematik. Zum einen wird die ‚Geschichte des Pimperltheaters‘ innerhalb des Familienbesitzes und der Familientraditionen über drei Generationen hinweg sachlich- erzählerisch wiedergegeben, die insgesamt eine Zeitspanne von ca. 140 Jahren abdeckt. Der Fokus liegt auf der Zurückverfolgung der Herkunft von Drucken und Textbüchern, wobei hier implizit auch zahlreiche Hinweise auf mögliche Forschungsfragen enthalten sind. Zum anderen geht es um die Beschreibung von dem praktischen Umgang sowohl mit der Bühne als auch mit der Beschaffenheit der Spielpuppen und anderen Objekten, die im Laufe der Zeit hinzugekommen sind.
Birkhans lebendig geschilderte Dokumentation des Pimperltheaters erlaubt den Leser:innen spannende Einblicke in die Art und Weise, wie solche Miniaturtheater im häuslichen Gebrauch bespielt wurden. Zudem wird hier deutlich, wie sich eine Art privater Aneignung durch die persönliche Ausgestaltung der Materialvorgaben im familiären Kreis vollzog. Mit dem ‚Hausgebrauch‘ wurde der Bestand eines solchen Theaters mit der Zeit allmählich aus seiner homogenen Einheit gelöst. So veränderten sich z. B. die Vorlagen, welche aus thematisch zusammengehörenden Kulissenbögen und Marionetten bestehenden, und wurden neu in bunte Ensembles aus verschiedenen Spielfiguren zusammengefügt und weiterentwickelt; wie u. a. durch von der Mutter geschneiderte Kostüme und durch die Einbeziehung zweckentfremdeter Gegenstände, zu denen Birkhan auch Verweise auf deren Herkunft gibt.

Resümee

Helmut Birkhan stellt in diesem Buch auf sehr individuelle und humorvolle Weise sowohl die fotografische Bestandsaufnahme seines Pimperltheater-Fundus als auch seine persönlichen Spiel-Erfahrungen mit dieser Form des Miniaturtheaters vor. Darüber hinaus wird von Nachforschungen zur Herkunft einiger Elemente des Fundus berichtet.
Interessierte Leser:innen sollten vorab wissen, dass ein großer Teil des Buches aus der lebendig ‚erzählten Pimperltheater-Aufführung‘ besteht. Somit geht es hier nicht um den Anspruch einer rein wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas: Vielmehr ist das Buch mit einem Augenzwinkern geschrieben worden und es verführt dementsprechend auch zu einer Rezeption mit Augenzwinkern. Gleichwohl verbergen sich in dem enormen Materialfundus durchaus Anregungen für Forschungsfragen. So seien hier abschließend noch einmal das vielfältige Bildmaterial sowie Birkhans persönliche Erlebnisschilderungen von der familiären Handhabung des Miniaturtheaters, der Marionetten & Co., hervorgehoben: Die Leser:innen bekommen einen anschaulichen Eindruck davon vermittelt, wie das Pimperltheater im Privaten gehandhabt wurde. Lässt man sich darauf ein, erfährt man ein lohnenswertes und höchst vergnügliches Lese- und Seherlebnis.


Literaturverzeichnis

Birkhan, Helmut (2021). Eine kleine Theatergeschichte oder Der Lauf der Welt auf dem erbaulichen Kinder-Marionettentheater. Kindle Ausgabe. ASIN: B09HPXHM6W.

Plötz, Robert (1981). Papiertheater. Spielzeuge und Dokumente der Theatergeschichte. (Niederrheinisches Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte Kevelaer). Kleve: Kreis Kleve.

Zwiauer, Herbert (1987). Papiertheater. Bühnenwelt en Miniatur. Wien: Herold

Über die Autorin / About the author

Julia Waldorf

Magistra der deutschen Philologie. Magisterstudium der deutschen Philologie, Theater -Film- u. Fernsehwissenschaft und Philosophie an der Universität zu Köln und Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Animation studies, ‚Früher Film‘ sowie Film und Theater der Weimarer Republik; Autorinnen des 19. und 20. Jahrhunderts, Interdisziplinäre Grenzüberschreitungen in Literatur, Bildender Kunst, Theater und Film mit Fokus u. a. auf: Figurentheater, Puppen und künstliche Menschen in der Literatur des 19. Jahrhunderts sowie frühen 20. Jahrhunderts. Verschiedene praktische Arbeiten im Bereich des Theaters

Julia Waldorf

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