denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.1 Nr.1 (2018) | Rubrik: Fokus
Natascha Compes
Focus: puppen in bedrohungsszenarien
Focus: dolls/puppets in threat scenarios
Abstract:
Anhand einer Erzählung von Androiden, die über eine menschenähnliche Künstliche
Intelligenz und Emotionen verfügen, und die in der menschlichen Gesellschaft
einer nahen Zukunft leben, wirft die schwedische Serie Real Humans Fragen
nach der Essenz von Mensch-Sein auf. Neben der Behandlung verschiedener Themen
werden auch immer wieder Geschlecht und Geschlechterverhältnisse angesprochen. Um
unerkannt und als scheinbar menschlich leben zu können, finden besondere Performanzen
von Geschlecht Anwendung. Im Artikel wird untersucht, auf welche Weise dies in der
filmischen Darstellung umgesetzt wird.
Schlagworte: Geschlecht; Doing Gender; Androide; Science Fiction; Fernsehserie
Abstract:
The Swedish series Real Humans raises questions about the essence of humanity in
a narration on androids with human-like artificial intelligence and emotions, who
live in human society in a nearby future. Besides several other topics gender and
gender relations are addressed. In order to successfully pass as human, a certain strategy
of gender-performance is made use of. In the article it is investigated how this is conducted
in the filmic representation.
Keywords: Gender, Doing Gender, Androids, Science Fiction, TV-series
Zitationsvorschlag: Compes, N. Doing Gender – Doing Human. de:do 2018, 1, 92-101. DOI: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:467-13212
Copyright:Natascha Compes. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).
DOI: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:467-13212
Veröffentlicht am: 17.05.2018
Um auf Zusatzmaterial zuzugreifen, besuchen Sie bitte die Artikelseite.
[…] das, was die Männlichkeit oder die Weiblichkeit ausmache, sei ein unbekannter Charakter, den die Anatomie nicht erfassen kann. […] Nichts wissen wir darüber, und die Zweigeschlechtlichkeit ist doch ein so auffälliger Charakter des organischen Lebens, durch den es sich scharf von der unbelebten Natur scheidet.
Sigmund Freud (1933/1969)
Unter den verschiedenen Arten von Puppen haben Androiden, sich autonom fortbewegende Roboter menschenähnlicher Gestalt, eine Sonderstellung inne. Als menschliches Produkt stellen sie das Abbild ihrer Erbauer_innen dar, verfügen aber zugleich über Kräfte, die menschliche Fähigkeiten überschreiten. Nicht nur hinsichtlich ihrer Stärke und Lebensdauer, sondern auch in der binären Logik ihrer Künstlichen Intelligenz (KI) sind sie Menschen weit überlegen. Der Wunsch, diese Überlegenheit für sich selbst ebenso nutzbar zu machen und Leben1 erschaffen zu können, beschäftigt die Menschheit konstant über die Zeiten hinweg. Leben, das „unbefleckt“ empfangen werden kann, nicht den mühevollen Weg der Geburt gehen muss und schließlich sogar der Sterblichkeit trotzt, wird in literarischen, künstlerischen sowie filmischen Werken immer wieder, mal in Form dystopischer, mal utopischer, Darstellungen von Doppelgängern, Golems, Robotern, Cyborgs, Androiden und Klonen behandelt. Von Ovids Pygmalion-Mythos der Antike über Mary Shelleys Frankenstein (1818) bis hin zu Blade Runner (Ridley Scott, 1982) oder Alex Garlands Ex Machina (2015) ist ihnen allen gemein, dass sie sich mit der Erschaffung künstlichen Lebens und der Auslotung der Verhältnisse zwischen dem Menschen und seiner Schöpfung auseinandersetzen (Telotte 2016, 5; Heath 2016, 72).
Roboter, Androiden oder Cyborgs bevölkern aber nicht nur die Werke der Fiktion, auch Bereiche der zivilen und militärischen Forschung befassen sich mit der Erschaffung von Mensch-Maschinen sowie der Übertragung menschlichen Verstandes auf digitale Speicherorte, um humane Fähigkeiten maschinellen anzupassen und zu optimieren (z.B. Moravec 1988, 123; Warwick 2000). Abgesehen von Forschungsrichtungen wie der Informatik, Robotik oder Medizin, die unmittelbar an der Herstellung der Technologien beteiligt sind, wird ein Human Enhancement und seine Konsequenzen von Disziplinen, wie etwa den Disability Studies, kritisch betrachtet, aber auch die Philosophie z.B. setzt sich mit Post- und Transhumanismus und den möglichen Folgen einer „Überwindung“ von Mensch-Sein auseinander (z.B. Braidotti 2014; Habermas 2001). Es werden die Veränderungen ergründet, die sich in den Mensch-Maschine-Beziehungen ergäben, wenn Androiden über eine fortgeschrittene Form der KI, die sie zu „selbstständigem Denken“ befähigte, verfügten. Was zunächst unrealistisch klingen mag und für die Meisten derzeit noch eindeutig im Bereich der Science Fiction (SF) verortet ist, beinhaltet jedoch Fragen, die durch wachsende technologische Möglichkeiten verstärkt medial wie auch wissenschaftlich diskutiert werden. Auf internationalen Konferenzen setzen sich Wissenschaftler_ innen bereits mit den möglichen Auswirkungen sexueller und affektiver Mensch-Maschine-Beziehungen auseinander2, auch existieren, gleichfalls von Wissenschaftler_innen initiiert, entsprechende Kampagnen3, die sich wiederum gegen Beziehungen solcher Art aussprechen. Da einige Positionen davon ausgehen, dass es sich dabei nur noch um eine Frage der Zeit handelt (David Levy (2009) gibt für die Entwicklung von artificial-emotion technologies das Jahr 2025 an), wird auch bereits eine Einführung von Grundrechten für Roboter diskutiert (Darling 2012, 19).
Die Bedeutung, die posthumanes Leben für den Körper, die Materie und infolgedessen für die Geschlechterverhältnisse haben kann, wird auch innerhalb der feministischen Wissenschaft rezipiert. In-Vitro-Fertilisation oder Klonversuche stellen durch die Verlagerung von Schwangerschaft und Geburt außerhalb des weiblichen Körpers in Aussicht, bestehende Geschlechterverhältnisse neu zu gestalten, die Frauen immer noch häufig an den Bereich der Reproduktion und Care-Tätigkeiten binden.4 Neben der Chance sich einseitig zugewiesener Care- Tätigkeiten zu entledigen, könnte die Entwicklung solcher Technologien ein Post-Gender-Zeitalter begründen, das Raum für ein Undoing von Gender bietet, welches binäre Geschlechterbilder hinterfragt und eine Pluralisierung von Geschlecht im Sinne einer Vielfalt von „a thousand tiny sexes“ (Deleuze 1987, 213) ermöglicht. Befürworter_innen sehen in der Figur der Cyborg, die im Allgemeinen als ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine verstanden wird, zahlreiche Erscheinungsmöglichkeiten von Geschlecht. „Cyborgism could well be a bridge to different types of posthumans, some with male bodies, others clearly female, others yet who are hermaphrodites, and still more people who will be quite genderless. And there will be new sexes” (Gray 2000, 159). Auch Donna Haraway formulierte bereits 1985 im Cyborg Manifesto die oppositionellen Möglichkeiten der Cyborg optimistisch. Für sie bestand in der Denkfigur der Cyborg die Möglichkeit, sich eine Welt ohne binär strukturierte Geschlechterverhältnisse vorzustellen (Haraway 1995, 34). Ihre Figur der Cyborg5
[...] ist eine überzeugte AnhängerIn von Partialität, Ironie, Intimität und Perversität. Sie ist oppositionell, utopisch und ohne jede Unschuld. Cyborgs sind nicht mehr durch die Polarität von öffentlich und privat strukturiert, Cyborgs definieren eine technologische Polis, die zum großen Teil auf einer Revolution sozialer Beziehungen im oikos, dem Haushalt, beruht. Natur und Kultur werden neu definiert. (ebd.)
Vertreterinnen der Gegenseite wiederum hinterfragen den militärischen Einsatz
solcher Technologien und die Entwicklung künstlicher Reproduktionstechnologien
kritisch. Die enge Verbindung von Männlichkeit und Technologie löst hier eher
Misstrauen und Ängste vor männlicher Aneignung und Kontrolle weiblicher
Reproduktionsfähigkeiten aus, die zu einer repressiven Bevölkerungspolitik
führen könnten (Weber 2006, 398; Butler 2011, 24).
Dass Fragen von Menschlichkeit und Geschlecht auf weiteren Ebenen eng miteinander verknüpft sind, diskutiert Katherine Hayles unter anderem anhand
des Turing-Tests, der als Methode zur Unterscheidung von menschlicher und
Künstlicher Intelligenz Verwendung findet. Das 1950 von Alan Turing so benannte
Imitation Game soll über die Zuordnung von Geschlecht überprüfen, ob das
Gegenüber menschlich ist. Eine männliche Person (A), eine weibliche Person (B)
und eine Fragen stellende Person, gleich welchen Geschlechts, sind in verschiedenen
Räumen untergebracht, die Kommunikation erfolgt schriftlich, um nicht über die
Stimme bereits Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Die fragende Person muss
nun herausfinden, welche der beiden Personen weiblich ist. Da beide versuchen
werden, die Interviewer_in von ihrer Weiblichkeit zu überzeugen, schlägt
Turing vor, die Fragestellung „Can machines think?“ in „What will happen when a
machine takes the part of A in this game?“ (Turing 1950, 433ff.) zu ändern. Er
stellt zur Diskussion, ob die Interviewer_innen das Geschlecht genauso häufig
falsch interpretieren werden, wenn eine Künstliche Intelligenz und eine menschliche
Person das Imitation Game spielen, wie für den Fall, dass es von einem
Mann und einer Frau durchgeführt wird. Dies bedeutet zunächst, dass die gender
identity etwas ist, das sich darstellen lässt, nicht etwas, dass unveränderbar mit
dem Geschlechtskörper einhergeht.
If you distinguish correctly which is the man and which the woman, you in effect reunite the enacted and the represented bodies into a single gender identity. The very existence of the test, however, implies that you may also make the wrong choice. Thus the test functions to create the possibility of a disjunction between the enacted and the represented bodies, regardless which choice you make. What the Turing test “proves” is that the overlay between the enacted and the represented bodies is no longer a natural inevitability but a contingent production, mediated by a technology that has become so entwined with the production of identity that it can no longer meaningfully be separated from the human subject. (Hayles 1999, xiii)
Turing impliziert mit dieser Testmethode, auch wenn dies vermutlich nicht seine
Intention war (siehe dazu Hayles 1999, xiiff.), dass es ebenso denkbar sei, dass
eine Künstliche Intelligenz Menschlichkeit vorgeben könne, wie z.B. für einen
Mann Weiblichkeit zu imitieren. Menschlichkeit scheint also genauso wenig
ausschließlich mit dem biologischen Körper verbunden zu sein, wie Geschlecht.
Beides lässt sich, Turing zufolge, schauspielern und es scheint eine Verbindung
zwischen beidem zu bestehen. Da bisher noch keine KI den Test zweifelsfrei
bestanden hat, bezieht sich die Vorstellung von performativer Menschlichkeit – Doing Human – auf den Bereich des Hypothetischen. Die Verschränkungen von
Geschlecht und Menschlichkeit, also Doing Gender und Doing Human, sollen
an dieser Stelle aufgegriffen werden und anhand eines Werkes der Fiktion, der
schwedischen Fernsehserie Äkta Människor aus dem Jahr 2012–2014, betrachtet
werden.
In Deutschland auf Arte unter dem Titel Real Humans ausgestrahlt, behandelt
die Serie, die dem Drama und Science Fiction Genre zugeordnet wird, Fragen
nach dem Wesen der Menschlichkeit, indem sie den Umgang und das Zusammenleben
mit Androiden in der schwedischen Gesellschaft einer nahen Zukunft
darstellt. Themen wie emotionale Beziehungen zwischen Menschen und Hubots
(Human Robots), aber auch eine Einführung von Grundrechten für diese, sowie
Geschlechterbeziehungen werden wiederholt explizit und implizit angesprochen.
Zu einer Betrachtung von Humanität in einer filmischen Darstellung eignen
sich Androiden außerordentlich gut, da das Bild des menschlichen Roboters auf
besondere Weise in der Lage ist, Fragen von gesellschaftlicher Relevanz zu
spiegeln und als Instrument der Sichtbarmachung dienen kann. So ist es gerade
die Menschenähnlichkeit, die den meisten Puppen gemein ist, welche in der sich
selbst bewegenden Form, dem androiden Roboter, besonders stark ausgeprägt
ist, und die per se ein besonderes Spiegelbild des Menschen darbietet. Ferrando
schreibt ihnen die Funktion der Antagonisten oder des „symbolisch anderen“ zu,
des Objektes, das den Blick der Betrachter_innen auf sich zieht.6
The space of the symbolic ‘other’, historically attributed to women people of other colours than white, non-heterosexual people and so on, left empty, has been filled by the automata. […] Avatars, robots and other non-human entities are already becoming the dark side of the dual, invested in the same symbolic role the feminine had held in the past. (2015, 275, 278, siehe auch Ornella 2015, 331)
Um die Androiden als menschlich darzustellen, wird ihnen in der Serie Real
Humans ein Äußeres verliehen, das sich nur in wenigen Details von dem der
Menschen unterscheidet. Ein starrer Blick, etwas „eckige“ Bewegungen und eine
makellose Haut lassen für die Zuschauer_in den Hubot erkennen. Obwohl bei den
Hubots, die sich als Menschen ausgeben, diese Attribute reduziert werden, indem
sie z.B. Kontaktlinsen tragen, die ihre künstliche Augenfarbe verstecken, besteht für die Zuschauer_innen, im Gegensatz zu den Menschen in der Serie, nur selten
ein Zweifel, der dann auch schnell aufgelöst wird, wer Hubot ist und wer Mensch.
Hier kommt nun die Komponente Geschlecht hinzu.
Bereits für Sigmund Freud war offensichtlich, dass die Unterscheidung von
männlich oder weiblich die erste ist, die wir machen, wenn wir „mit einem
anderen menschlichen Wesen zusammentreffen“ (Freud 1969, 162, Hervorh. NC).
Dementsprechend würde sich bei einem Wesen, das auf Anhieb als nicht-human
identifiziert würde, diese Unterscheidung erübrigen. Um in der Serie also eine
glaubhafte Darstellung von Menschlichkeit zu ermöglichen, stellt ein menschlich
aussehender Körper, mit einer „eindeutigen“ Geschlechtszuschreibung eine
Grundvoraussetzung dar.
Auch Forschung, die sich mit einem Post-Gender im Post-Humanen beschäftigt,
sieht Geschlecht als eine Eigenschaft, die auch in Zukunft neben Beziehungsfähigkeit
oder Emotionalität noch eine notwendige Komponente menschlicher
Identität bilden wird. „Even if sex will have no biological or physiological
relevance for robots, in the future gender will be reaffirmed in its hermeneutical
role, and precisely: for machines, in their process of identity formation; for humans
to better interact with the machines“ (Ferrando 2014, 15). Somit stellt sich nun
die Frage, auf welche Weise in der Serie Real Humans Menschlichkeit und
Geschlecht miteinander verbunden sind.
Im Schweden der nahen Zukunft werden Hubots, die nicht nur aussehen, sprechen
und sich bewegen wie Menschen, sondern auch Emotionen und Charakterzüge
besitzen und über eine fortgeschrittene Version Künstlicher Intelligenz verfügen,
in Unternehmen wie Privathaushalten zur Erledigung unangenehmer Arbeiten,
Care-Tätigkeiten oder Unterhaltungszwecken eingesetzt. Grundsätzlich sind sie
fügsame und diensteifrige Maschinen, die keine Ansprüche an ihre Tätigkeiten
oder Besitzer_innen stellen und sich mit der Möglichkeit, ihren Akku an einer
Steckdose aufzuladen, bescheiden zufrieden geben. Abgesehen von einer Gruppe
„freier“ Hubots, die „Kinder Davids“, deren Erfinder David Eischer sie durch
einen veränderten Programmiercode mit „freiem Willen“ ausgestattet und somit zum Leben7 erweckt hat, hinterfragen „normale“ Hubots die herrschende
Gesellschaftsordnung nicht. Eischers Code ermöglicht es den befreiten Hubots, die
Asimovʼschen Gesetze zu überschreiten. Diese Gesetze der Robotik, 1942 von
Isaac Asimov in dem Roman Runaround (1942, 41) formuliert, besagen vor allem,
dass Roboter Menschen bzw. der Menschheit keinen Schaden zufügen dürfen,
auch nicht durch das Unterlassen von Handlungen. Die Gruppe der „wilden“
Hubots strebt allerdings die „Befreiung“ weiterer Androiden durch den Code
an, auch wenn dies einen gewaltsamen Konflikt mit den Menschen bedeutet.
Die Positionen innerhalb der Gruppe sind gespalten. Einigen ist es ein Wunsch,
möglichst menschenähnlich zu sein und unerkannt unter Menschen zu leben,
anderen, die Herrschaft des Menschen über die Maschinen zu unterwandern
und menschliches Dasein auszulöschen, da eine friedliche und gleichberechtigte
Koexistenz nicht möglich scheint.
Die menschliche Gesellschaft ist in ihren Empfindungen zu den Hubots genauso
gespalten. So findet sich in der Serie ein Spektrum von Haltungen, die sich in
feindlichen Lagern gegenüberstehen. Von Anti-Hubot-Aktivist_innen der Äkta
Människor-Bewegung bis hin zu „Transhumansexuellen“, die sexuelle und
emotionale Beziehungen zu Hubots statt Menschen pflegen, aber auch Menschen,
die sich selber als Hubots ausgeben, werden diverse Positionen abgedeckt. In ihrer
Beschäftigung mit Mensch-Maschine-Interaktionen und ihren Beziehungen
wirft die Serie, die gerade aufgrund der multiperspektivischen Behandlung ihres
Stoffes mit dem „Prädikat besonders wertvoll“ der Deutschen Film- und Medienbewertung8
ausgezeichnet wurde, klassische Fragen des Science Fiction Genres
auf (Ornella 2015, 331).
Im Zentrum der Serie steht die Familie Engmann, die aus den Eltern Hans und
Inger und den Kindern Matilda, Tobbe (Tobias) und Sofia besteht. Hans kauft
für Ingers Vater Lennart im Hubot-Market einen Pflege-Hubot, Vera, die den
reparaturbedürftigen Odi ersetzen soll. Kostenlos erhält er Anita dazu, eine der
freien Hubots, die von Schwarzmarkthändlern gekidnapped und an den Hubot-Market weiterverkauft wurde. Ihr Befreiungscode, und damit ihre „Identität“ als
Mimi, wurde überschrieben und so erinnert sie sich zunächst nicht an ihre Existenz,
bevor sie als Anita „aufwacht“. Während Vera bei Lennart leben soll, zieht Anita
gegen den anfänglichen Widerstand Ingers bei den Engmanns ein.
Die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Engmann-Familie wirken zunächst
gerecht hinsichtlich der Aufgabenverteilung von entlohnter Arbeit und Care-
Work verteilt. Inger ist als Anwältin tätig und trotz beruflicher Belastung für ihre
Familie da. Hans kümmert sich neben der Arbeit ebenfalls um Haushalts- und
Familienfragen. Die beiden besitzen ein Haus in einer wohlhabenden, aber nicht
übertrieben reich wirkenden Gegend und leben ein „Doppelverdienermodell“ mit
Kindern. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Eltern kommt Anita gerade
recht und kann, ohne zu ermüden, der jüngsten Tochter Sofia Gutenachtgeschichten
vorlesen oder das perfekte Frühstück anrichten. Bei genauerem Hinsehen zeigen
sich kleine Risse im Bild der vorbildlichen Familie, so werden Inger wiederholt
Vorwürfe wegen ihrer beruflichen Belastung gemacht, die Diskurse der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf spiegeln. Hans hingegen ist solcher Kritik nicht
ausgesetzt.
Einen Gegenentwurf dazu bilden ihre Nachbarn, die Larssons. Roger, Therese
und Thereses Sohn Kevin leben zwar in der gleichen Straße, wirken aber weitaus
traditioneller und konservativer. Insbesondere im Kontrast zu der relativ modernen
Einrichtung der Engmanns wirken ihre Möbel ebenso altbacken wie ihre familiäre
Rollenverteilung. Roger, der beruflich unter Druck steht, da Hubots seine
Tätigkeiten im Lager effizienter verrichten als er, schlägt Therese, die – anscheinend
Hausfrau und Mutter – ihre Freizeit mit dem Fitness-Hubot Rick zubringt. Nachdem
Roger sie geschlagen hat, verlässt Therese ihn mit Kevin und Rick. Ihre Entscheidung,
Roger zu verlassen und ihr Leben mit neuem Job und jungem Liebhaber neu zu
beginnen, entspricht hier allerdings weniger der klassischen Rollenzuschreibung
von Frauen als passive Opfer von Gewalt, sondern enthält, wie in Ingers Darstellung
auch, Potenzial einer vielschichtigen Abbildung von Geschlechterverhältnissen.
Auch Lebensentwürfe jenseits heteronormativer Beziehungen werden in Form des
lesbischen Paares, bei dem die freien Hubots eine Zeit lang Unterschlupf finden,
in der Serie als gesellschaftlich akzeptiert dargestellt. Für die menschliche
Gesellschaft scheint eine lesbische Pastorin kein Problem darzustellen, Kritik vonseiten ihrer Gemeinde schlägt ihr allerdings entgegen, als sie dem Hubot
Gordon erlaubt, am Gottesdienst teilzunehmen. Dennoch wirkt ein Großteil der
Menschen eher gleichberechtigt denkend und im Vergleich zu einigen Hubots regelrecht
fortschrittlich. Tendenziell werden die menschlichen Figuren als „runde“
Charaktere erzählt, sie weisen, nicht nur innerhalb ihrer Geschlechterverhältnisse,
Brüche und Inkonsistenzen auf, welche sie im Vergleich zu den logisch denkenden
Hubots besonders menschlich erscheinen lassen.
Als Transhumansexuell (THS) werden in der Serie Personen benannt, die Liebesbeziehungen zu Robotern pflegen und diese sexuell begehren. Tobbe, der Sohn der Engmanns, verliebt sich in Anita/Mimi und interessiert sich nicht mehr für menschliche Mädchen seines Alters. Nachdem Hans einen Termin für ihn bei einer Therapeutin vereinbart hat, erfährt Tobbe, dass er damit nicht allein ist. Auch hier zeigt sich die Familie Engmann als verhältnismäßig offen und tolerant. Im Gegensatz zu anderen Teilen der Gesellschaft, wird mit dem Thema offen umgegangen und Tobbes sexuelles Begehren, wenn auch mit leichter Besorgnis, respektiert. Die Darstellung von Transhumansexualität spiegelt auf der gesellschaftlichen Ebene auf anschauliche Weise Prozesse des Otherings, also der „Ver-Anderung“ bestimmter Gruppen zur Rechtfertigung ihrer Exklusion. So erinnern die Positionen und Äußerungen zu dieser Begehrensweise in der Serie an schwulen- und lesbenfeindliche oder rassistische Diskurse unserer Gegenwart. Therese und ihrer Freundin Pilar wird z.B. in Begleitung ihrer Hubot-Partner der Zutritt zu einer Disco verwehrt oder der Vertrieb pornographischen Materials, das Hubots abbildet, ist gesetzlich untersagt und grassiert sozusagen unter der Hand. Hier zeigt sich, dass gesellschaftsrelevante Themen von SF aufgegriffen werden können, und wie über das Bild der Interaktion von Roboter und Menschen Kritik an konservativ-diskriminierenden Positionen geübt werden kann, ohne diese konkret ausbuchstabieren zu müssen. Es bleibt den Zuschauer_innen überlassen, die realweltlichen Bezüge zu erstellen, und die Darstellung von Parallelen sowie gegensätzlicher Positionen dienen einer realistischen und reflektierten Erzählung von Mensch-Sein.
Die menschlichen Geschlechterbilder, die sich in einem fließenden Aushandlungs-
und Entwicklungsprozess befinden, werden durch eine starre, traditionelle
Darstellung von Geschlechtsrollen der „normalen“, unfreien Hubots kontrastiert.
Sie sind zwei eindeutig zuzuordnenden Geschlechtern zugeteilt, die zumeist
klassische, geschlechtsspezifische Tätigkeiten ausführen. Die weiblichen Hubots
sind überwiegend Kindermädchen, Pflegerobotor oder Sex-Hubots, die männlichen
Hubots oft Bauarbeiter oder Fitnesstrainer, deren Tätigkeitsbereiche weitestgehend
nach öffentlicher und privater Sphäre geteilt sind, obwohl eine Rechtfertigung
geschlechtlicher Arbeitsteilung, aufgrund körperlicher Unterschiede,
bei den Hubots gegenstandslos ist. Auch äußerlich wirken sie fast übertrieben
zweigeschlechtlich, die weiblichen, meist sehr attraktiven, jungen Hubots haben
lange Haare und tragen überwiegend – je nach Aufgabenbereich Dienstmädchenuniformen,
die männlichen sind ebenfalls jung, muskulös und weitestgehend
kurzhaarig und tragen Arbeitsuniformen wie Overalls oder Bauarbeiter-Helme.
Die freien Hubots dagegen wirken eher androgyn, wenn auch nicht geschlechtslos.
So lassen sich Niska, Marylin, Fred, Flash und Gordon zwar ebenfalls in zwei
Geschlechter einteilen, sie haben aber einen weniger traditionellen, uniformen
Kleidungsstil als die unfreien Hubots. Sie tragen Kleidung in Erdtönen, der einem
Mix „indianischer“ Ethno-Attribute entspricht, wie z.B. Stirnbänder, Federn
und mit Lederbändern umwickelten Stoffen sowie an Western-Style erinnernde
Accessoires wie Cowboystiefel und Halstücher. Diese besonders organisch
wirkenden Materialien und Farben stehen in starkem Kontrast zu ihrem starren
Blick und ihrer unnatürlich glatten Haut, betonen aber auch ihre Freiheit und
Individualität, im Gegensatz zu den uniformierten, unfreien Hubots.
Ein Passing, das erfolgreiche Vortäuschen einer anderen als der zugewiesenen
sozialen Identität, in dem die Hubots als menschlich durchgehen, gelingt den
Androiden durch eine Übernahme menschlicher Verhaltensweisen auf mehreren
Ebenen. Wie bereits erwähnt, gehört in der Serie eine eindeutig zuordenbare
Geschlechtsidentität als entweder männlich oder weiblich zum Passing dazu und
soll hier an einem Beispiel ausführlicher betrachtet werden. An der Figur von
Flash lässt sich zeigen, wie eine stereotype Überbetonung von Weiblichkeit ihre
Aufnahme in die menschliche Gesellschaft vereinfacht. In ihrem Fall scheinen
besonders stark „biologisch“ determinierte Zwänge ihre Wirkung zu entfalten.
Sie verlässt die freie Hubotgruppe, um sich in eine barbiepuppenartige Prinzessin zu verwandeln, deren oberste Priorität ein Ehemann und Kinder sind
(vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1: Flash wartet auf Douglas, der nichts von ihrer Hubotidentität weiß (Real Humans 2013, S2E2, 00:26:52)
Dies entspricht dem prototypischen
Verhalten ihres Robotermodells, der als
„Nanny-Hubot“ verkauft wird. Interessanterweise
setzen sich diese Triebe bei
Gordon, ihrem Zwillingsbruder, der als
männliche Version des Nanny-Hubots
käuflich ist, nicht durch. Der Wunsch
nach einem heteronormativen Lebensentwurf
von Mutter-Vater-Kind geht so
weit, dass Flash sich sogar aus Liebeskummer
das „Leben“ nehmen will, indem
sie den Stecker, den sie zum Aufladen
benötigt, abschneidet.
Ein ähnliches Beispiel für einen männlichen
Hubot stellt Rick dar. Nachdem
seine Programmierung verändert wurde,
zeigt sich bei ihm ein überzeichnetes,
hypermaskulines Verhalten. Seit seine
Besitzerin Therese ihn illegal mit der
Funktion für Sex hat ausstatten lassen,
scheint es, als hätte er einen „digitalen
Testosteronschub“ bekommen. Mit der
Neuprogrammierung geht bei ihm die
Ausbildung eines Sexual- und Aggressionstriebs
einher, der Therese, da sie
ihn nicht mehr kontrollieren kann,
ängstigt. Im Verlauf der Serie wandelt
er sich vom braven Fitnesstrainer zum
ramboartigen Kämpfer (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Rick hat eine Waffe gestohlen und nimmt in Flecktarn und Stirnband den Kampf gegen die Menschen auf (Real Humans 2013, S2E6, 00:02:21)
Der symbolische Kampf des Menschen gegen die Maschinen im „Hub-Battle-
Land“, einer Art Paintball-Anlage, in der Menschen Hubots „erschießen“ können,
die so programmiert sind, dass sie zwar Angst und Schmerz zeigen, sich aber nicht
wirklich zur Wehr setzen können, wird von Rick umgekehrt. Er führt die Hubots an, nachdem er ihre Asimovsperre ausgeschaltet hat, und durchläuft, ebenso wie
Flash, eine äußere wie innere Transformation. Die umfängliche Aufnahme in
die menschliche Gesellschaft scheint hier mit einer stereotypen Geschlechterrollenzuschreibung
einherzugehen, die sich auf regelrecht parodistische Weise
vollzieht. Die Kopie ist in diesem Fall „echter“ als das Original. In der Erzählung
der Serie funktioniert das nur bis zu einem gewissen Punkt, die Kopierund
Parodierbarkeit von Menschlichkeit über Geschlecht erreicht eine Grenze,
wenn weitere notwendige Komponenten fehlen. Flash, die sich frei und ohne
Besitzer_in bewegt, kann unter Zuhilfenahme ihrer stereotypen Weiblichkeit
als menschlich durchgehen. Rick dagegen, bei dem auch nicht ganz klar wird,
zu welchem Ausmaß er „befreit“ wurde, wechselt die Besitzer_innen, kann sich
nicht frei bewegen und zuletzt nicht erfolgreich passen.
Weniger eindeutig, aber immer noch deutlich wahrnehmbar zeigt sich eine
Verstärkung von stereotyper Weiblichkeit im Fall von Bea, die als einzige der
freien Hubots bereits unerkannt als Mensch lebt. Als coole Ermittlerin der Einheit
zur Hubot-Kriminalität, wirkt sie zunächst nicht besonders traditionell und weckt
Assoziationen zu filmischen Darstellungen
tougher skandinavischer
Heldinnen, wie Kommissarin Lund oder
gar Lisbeth Salander der Millenium-
Trilogie. Nachdem sie Roger zu ihrem
menschlichen Helfer auserkoren hat,
verwandelt jedoch auch sie sich in eine
eher konventionell-brave Version Frau.
Sie trägt Kleider und schminkt sich
ein blaues Auge von den angeblichen
Schlägen ihres Ex-Partners herrührend
und inszeniert so durchaus erfolgreich
die Rolle des „schwachen Geschlechts“
(vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: Bea schminkt sich in einer Umkleidekabine ein blaues Auge, um an Rogers Fürsorge zu appellieren (Real Humans 2012, S1E2, 00:38:50)
Selbst als sie Roger ihre Hubot-Identität offenbart, hat sie eine klischeehafte Situation arrangiert, in der sie im seidenen Negligé bei Kerzenschein, verstreuten Rosenblättern und romantischer Musik zuhause auf ihn wartet, um ihn zu verführen.
In der Betrachtung der Serie fällt auf, dass neben den handlungsstarken Frauenrollen,
die meisten männlichen Charaktere eher passiv gezeichnet sind. Es gibt
vor allem unter den menschlichen Männern klassische Darstellungen der auch
im real-medialen Diskurs und gesamtgesellschaftlich lang und vielbeschworenen
Krise der Männlichkeit (Meuser 2010, 326). Die Ursachen scheinen hier klar auf
der Hand zu liegen: Im Erzählstrang zu Roger stehen der Verlust seiner Erwerbstätigkeit
und seine daraus resultierende Radikalisierung gegen Hubots, also die
Verdrängung des Mannes durch die Roboter, im Vordergrund. Aber nicht nur die
Roboter sind feindlich, die Männer sehen sich auch einer Bedrohung durch die
Frauen ausgesetzt. Rogers Vorgesetzte ist eine Frau, die sich entscheidet, ihre
menschlichen (und in der Serie männlichen) Angestellten durch Hubots beiderlei
Geschlechts zu ersetzen. Der (menschliche) Mann stellt eine bedrohte Art dar
– Roboter und Frauen nehmen ihm seinen Arbeitsplatz und unterhöhlen damit
die Legitimation patriarchaler Macht. Diese Figuren einer eher untergeordneten
Männlichkeit (Connell 2015, 134) werden noch weiter an den Rand gedrängt,
und es widerfährt ihnen eine symbolische Kastration, indem sie entweder von
Robotern bevormundet werden oder beruflich wie privat durch solche ersetzt
werden.9 Schließlich ist es dann auch noch die Hubotfrau Bea, in die Roger sich
in Unkenntnis ihrer Hubot-Identität verliebt und die ihn für ihre Zwecke benutzt.
Rogers Handlungen bestehen entweder in gewalttätigen Ausbrüchen menschlichen
Frauen und männlichen Hubots gegenüber oder in dazu widersprüchlicher
Unterordnung unter menschliche Männer oder nicht-menschliche Frauen.
Plakativer noch als in Rogers Fall, der unentschlossen zwischen seiner Roboterund
Frauenfeindlichkeit hin und her schwankt, erfolgt die Darstellung von Malte.
Dieser Charakter entspricht dem klassischen Typus des Verlierers: Malte wohnt
mit vermutlich über vierzig Jahren noch bei seiner Mutter, hat seinen Job als
Postbote an Hubots verloren, ist begeistert von Waffen und sucht trotz großen
Hasses auf die Androiden zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse das Hubot-
Heaven, ein Roboter-Bordell, auf, wofür er sich selbst, stellvertretend für alle seine anderen Unzulänglichkeiten, zutiefst verachtet. Für ihn stehen als Handlungsoptionen
Gewalt oder Selbstmitleid zur Verfügung; schließlich wird er von
der Hubot-Frau Niska getötet.
Weitere Hinweise auf eine Krise der Männlichkeit finden sich in Staffel zwei der
Serie. So wird Hans Engmann arbeitslos, ohne dass die genauen Gründe dafür
benannt werden, aber die Zuschauer_innen sehen ihn, von Vera, dem Haushaltsund
Pflegehubot, der nach Lennarts Tod bei den Engmanns lebt, immer wieder
ermahnt, sich vernünftig zu ernähren oder sinnvoll zu beschäftigen. Sein Alltag,
den er zu großen Teilen im Morgenmantel und Bass spielend auf der Couch
verbringt, wird von seiner Frau ebenso mit hochgezogener Augenbraue beobachtet,
wie kritisch kommentiert.
Leo, der biologische Sohn Eischers, der als Kind bei dem Versuch seine Mutter
Beatrice vor dem Ertrinken zu bewahren selber in Gefahr gerät, wird von Mimi/
Anita aus dem Wasser geborgen und von seinem Vater einer Prozedur unterzogen,
die sein Leben rettet, ihn aber zum Cyborg macht. In der Serie zunächst als
heldenhafter Anführer der freien Hubots eingeführt, wird er schließlich gefangen
genommen und am Ende der ersten Staffel von Bea, der Hubotverkörperung
seiner Mutter, getötet und reiht sich so in die Gruppe der männlichen Protagonisten
ein, denen eine (nicht nur) symbolische Auslöschung durch die Frauenrollen
widerfährt.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass sich Geschlechterverhältnisse, zumindest
in der binären Betrachtungsweise von männlich und weiblich, in der Serie Real
Humans im Fluss befinden. Der Prozess der „Menschwerdung“ der freien Hubots,
also sobald sie ein Passing als menschlich wagen, besteht unter anderem darin,
geradezu klischeehaft Geschlechterstereotype zu bedienen. Aber auch die
Aushandlungsprozesse der menschlichen Geschlechterverhältnisse spiegeln reale
Geschlechterkonflikte, wie die Wahrnehmung des Feminismus als Bedrohung,
Vereinbarkeitsproblematiken und Krisen der Männlichkeit wider, und so wird
offenbar, dass sowohl Mensch-Sein sowie Mensch-Darstellen eng mit Geschlecht
verbunden ist. Gerade weil die menschliche Realität von einer Veruneindeutigung
klassischer Geschlechterrollen geprägt ist, scheinen die Hubots nur
überzeugender und eindeutiger als menschlich dechiffrierbar in ihrer Überzeichnung von geschlechtlicher Menschlichkeit. Immer wieder wird somit Frage aufgeworfen,
bei wem es sich letztlich um Original oder Kopie handelt, denn auch in anderen
Bereichen übertreffen die Hubots die Menschen oft an „Menschlichkeit“. Die
bescheidenen Hubots, wie Mimi zum Beispiel, lügen nicht, sind absolut zuverlässig
und verlieren nie die Geduld und scheinen damit über viele menschliche
Tugenden zu verfügen. Dadurch wird der Blick zurück auf das Original gerichtet
und die Frage gestellt, was die Originalität ausmacht, insbesondere wenn dieses
der Kopie gegenüber stellenweise sogar minderwertig ist.
Da die Androiden auf der narrativen Ebene der Serie durch eine Ausgestaltung
stereotyper Geschlechterrollen auf die Menschen in der Serie besonders menschlich
wirken, wird das Potenzial des filmischen Raums zur Destabilisierung einer
konservativen, binären Geschlechterordnung, einem Post-Gender-Szenario,
den teils euphorischen Vorstellungen feministischer Techno-Science-Befürworterinnen
entsprechend, anscheinend nicht genutzt. Dies mag daran liegen, dass
die Hubots, die von Menschen geschaffen werden, die sich innerhalb ihrer meist
heteronormativ-vergeschlechtlichten Bezüge befinden, auch nur ebenso gestaltet
sein können. Es besteht ohnehin die Frage, ob es innerhalb herrschender Wissensordnungen
überhaupt die Möglichkeit zu radikaler Subversion geben kann. So
sind filmische Darstellungen immer an die kulturellen Normen und gedanklichen
Möglichkeiten ihrer Hersteller_innen gebunden. Für den Science Fiction Film
konstatiert Ferrando, “[t]hat future is, really, the present dressed in silver clothes.
Although these products are attempting to portray possible futures, their understandings
are led by the cultural biases of their authors, reflecting the normative
episteme of the historical time and social setting they represent” (2015, 270). Die
Kopie kann also immer nur bedingt vom Original abweichen.
Betrachtet man aber die Serie als medial-diskursives Ereignis, in dem Methoden
der „subversiven Wiederholung“ (Butler 1990, 214) Anwendung finden, und zwar
insbesondere durch die Verschränkung von Menschlichkeit und Geschlechtlichkeit
in der Darstellung der Hubots und der darin enthaltenen Spiegelung
menschlicher Geschlechterbeziehungen, so finden sich Ansätze zu Handlungsmöglichkeiten
für Vervielfältigungen und Verschiebungen bereits in der Sichtbarmachung
von Menschlichkeit durch Geschlechterperformanz. Subversives
Potenzial besteht dann also darin, dass Mensch und Maschine gleichgesetzt
werden, und die Umkehrung des Blickes auf das Original schafft den Raum
zur Dekonstruktion herrschender Normen. Hier besteht in der Verbindung von Technologie und Geschlecht eine performative Zitation oder ein queering das, wie
Veronica Hollinger es in Anlehnung an Butler ausdrückt, bereits ein subversives
Element darstellen kann.
As has been frequently pointed out, the techno-body reiterates itself through replication, not through reproduction, and it does not require the heterosexual matrix as the space within which to duplicate itself. Given the emphasis in theories of performativity on reiteration and citation, the techno-body as replicated body points us towards the utopian space of queer excess. Perhaps all techno-bodies are, at least potentially, queer bodies. (Hollinger 1999, 31)
Dies findet auch in der Serie Äkta Människor in ihrer multiperspektivischen Betrachtung von Menschlichkeit statt. So bieten die Roboter eine Projektionsfläche für verschiedene Interpretationen von Geschlecht, das mag sich nicht im Sinne eines radikalen und konsequenten Post-Gender abspielen, das sich aller Beschränkungen der (Zwei-)Geschlechtlichkeit entledigt und in der Aufhebung der einseitigen Reproduktionsordnung neue Formen von Geschlecht und daraus resultierend gänzlich neue Machtverhältnisse entwirft. Aber gerade durch die extrem stereotype Form von Geschlechterperformanz werden Kopie und Vorlage miteinander verglichen und der Blick zurück auf das menschliche „Original“ gerichtet. „Die parodistische Wiederholung der Geschlechtsidentität“, die nach Butler die „Illusion der geschlechtlich bestimmten Identität“ aufdeckt (1990, 215) besteht also nicht allein darin, dass die Hubots in ihrer überzeichneten Parodie von Geschlechterperformanz Verschiebungen von Geschlecht und daraus resultierende Machtverhältnisse repräsentieren, sondern in der Tatsache, dass Menschlichkeit und Geschlecht über die Figur des Roboters performed werden können.
[1] Was „Leben“ bedeutet, wird in philosophischer Tradition verschieden definiert, ohne dass ein Konsens darüber erreicht sei (was im Übrigen auch auf weitere Bereiche, wie etwa die Medizin, zutrifft). Nach Aristoteles z.B. lässt sich, hier stark verkürzt, Leben als die Beseeltheit beschreiben. Die Seele besitzt je nach Lebewesen (z.B. Pflanze, Tier oder Mensch) unterschiedliche Seelenvermögen und scheint untrennbar mit dem Körper verbunden (Über die Seele, Buch II, Kapitel 2). Dieser Sichtweise wird von René Descartes widersprochen, indem er Leib und Seele (oder menschlichen Geist) als separate Entitäten denkt. Ihm zufolge werden Willensregungen über Interaktionen im menschlichen Gehirn an den Körper weitergegeben und ausgeführt (Die Welt, Kapitel 18). Solch eine mechanistische Vorstellung vom ‚Menschenautomaten‘, der durch den menschlichen Geist und dessen Reflexionsfähigkeit lebendig wird, scheint der Idee von KI am ehesten zugrunde zu liegen.
[2] loveandsexwithrobots.org
[3] campaignagainstsexrobots.org
[4] Solche Überlegungen werden im Film Blade Runner 2049 thematisiert. Da die Replikantin Rachel ein Kind ausgetragen hat, scheinen reproduktive Fähigkeiten folglich auf Androiden übertragbar. Ein konsequentes Undoing von Gender findet in der Erzählung allerdings nicht statt, da es sich hier um einen weiblichen Androiden handelt (siehe dazu Kümmel 2017).
[5] Während der Begriff Cyborg im gängigen Sprachgebrauch zunächst keine eindeutige Geschlechtszuordnung beinhaltet, entspricht der Begriff des Androiden (menschenähnliche Maschinenwesen, von griechisch ἀνήρ aner „Mensch, Mann“ und εἶδος eidos „Aussehen“, „Gestalt“) einer Gleichsetzung von männlich und menschlich. Es wird auch von weiblichen Androiden, seltener von Gynoiden, gesprochen.
[6] Eine Analyse von Frauen im Film als Objekt des Blicks wurde von Laura Mulvey bereits 1975 vorgenommen.
[7] Wie bereits erwähnt, sind Definitionen von „Leben“ umstritten. In der Serie Real Humans scheinen verschiedene Ansätze Verwendung zu finden. In cartesianischer Tradition lässt sich der ‚befreiende‘ Code auf Datenträgern speichern und kann somit getrennt vom Körper der Androiden vorliegen. Dass allerdings derselbe Code wiederum das Potenzial besitzt, in jedem Androiden eine individuelle ‚Persönlichkeit‘ freizusetzen, die mit dem jeweiligen Körper verbunden ist, scheint einer aristotelischen Vorstellung von einer Verbindung von Leib und Seele näher zu sein.Die
[8] Begründung der Jury abrufbar unter: http://www.fbw-filmbewertung.com/film/real_humans_echte_ menschen _die_komplette_erste_staffel#film_explanation [letzter Zugriff 26.08.2017].
[9] Verweise auf aktuelle Diskurse werden hier erkennbar, derartige Bilder erinnern z.B. an fremdenfeindliche Propaganda, in der die sogenannte „Migrant_innenflut“ als Gefahr für die Ressourcenkontrolle insbesondere weißer, westlicher Männer ausgemacht wird. Aber auch der Wegfall von Arbeitsplätzen durch den Einsatz von Maschinen oder die Angst vor Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt durch steigende Zahlen weiblicher Berufstätigkeit werden in Diskursen zur Krise der Männlichkeit immer wieder thematisiert.
Braidotti, Rosi (2014). Posthumanismus – Leben jenseits des Menschen. Frankfurt a. M.: Campus Verlag.
Butler, Judith (1990). Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Butler, Judith (2011). Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Connell, Raewyn (2015). Der gemachte Mann (4. Aufl.). Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Darling, Kate (2012). Extending Legal Protection to Social Robots: The Effects of Anthropomorphism, Empathy, and Violent Behavior Towards Robotic Objects (April 23, 2012). In Ryan Calo, Michael Froomkin, Ian Kerr (Eds.), Robot Law. We Robot Conference 2012. University of Miami. Edward Elgar 2016; Zugriff am 25.08.2017 unter https://ssrn.com/abstract=2044797.
Deleuze, Gilles, Guattari, Felix (1987). A Thousand Plateaus. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Descartes, René (2015). Die Welt: Abhandlung über das Licht. Der Mensch (Vol. 682). Hamburg: Felix Meiner Verlag.
Ferrando, Francesca (2014). Is the Post-Human a Post-Woman? Cyborgs, Robots, Artifical Intelligence and the Futures of Gender: A Case Study. European Journal of Futures Research, 2 (1), 43.
Ferrando, Francesca (2015). Of Posthuman Born: Gender, Utopia and the Posthuman in Films and TV. In The Palgrave Handbook of Posthumanism in Film and Television (pp. 269–278). New York: Palgrave Macmillan.
Freud, Sigmund (1969). Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. 33. Vorlesung Die Weiblichkeit. Studienausgabe Band I. Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag.
Gray, Chris Hables (2000). Cyborg Citizen: Politics in the Posthuman Age. New York, NY: Routledge.
Habermas, Jürgen (2001). Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik? Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Haraway, Donna (1985/1995). Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt a. M. und New York: Campus Verlag.
Hollinger, Veronica (1999). (Re)reading Queerly: Science Fiction, Feminism, and the Defamiliarization of Gender. Science Fiction Studies, 26, 23–40.
Hayles, N. Katherine (1999). How We Became Posthuman. Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. Chicago/London: Chicago University Press.
Heath, Helen (2016). Using/Abusing Fembots: The Ethics of Sex with Robots. Overland, 225, 70.
Kümmel, Anja (2017). Die Angst vor der Maschinenmutter. In Zeit Online. 25.10.2017. Zugriff am 27.10.2017 unter http://www.zeit.de/kultur/2017-10/cyborgs-mutter-blade-runner-2049-10nach8.
Levy, David (2009). Love and Sex with Robots: The Evolution of Human-Robot Relationships. New York: Harper Collins.
Meuser, Michael (2010). Geschlecht, Macht, Männlichkeit – Strukturwandel von Erwerbsarbeit und hegemoniale Männlichkeit. Erwägen, Wissen, Ethik. 21, 3.
Mulvey, Laura (1975). Visual Pleasure and Narrative Cinema. Screen 16.3, Autumn, 6–18.
Ornella, Alexander Darius (2015). Uncanny Intimacies: Humans and Machines in Film. In The Palgrave Handbook of Posthumanism in Film and Television (pp. 330–338). New York: Palgrave Macmillan.
Ovidius Naso, Publius (2017). Metamorphosen (herausgegeben und übersetzt von Niklas Holzberg, Hrsg. Sammlung Tusculum). Berlin; Boston: De Gruyter.
Seidl, Horst (1995). Aristoteles: Über die Seele. (Vol. 476). Hamburg: Felix Meiner Verlag.
Shelley, Mary Wollstonecraft (1994). Frankenstein, or, The Modern Prometheus. London: Penguin.
Telotte, Jay P. (2016). Robot Ecology and the Science Fiction Film. New York: Routledge.
Turing, Alan (1950). Computing Machinery and Intelligence. MIND a Quarterly Review of Psychology ad Philosophy, Vol. LIX, No. 236. Pp. 433–460.
Warwick, Kevin (2000). ‘Cyborg 1.0’. In Wired 8.02. Zugriff am 25.08.2017 unter http://www.wired.com/ wired/archive/8.02/warwick.html.
ARD
Weber, Jutta (2006). From Science and Technology to Feminist Technoscience. In Handbook of Gender and Womens Studies (pp. 397-414). London: Sage.
Blade Runner | USA 1982 | 1h 57 Min. | Sci-Fi, Thriller | Director: Ridley Scott.
Blade Runner 2049 | USA 2017 | 2h 44 Min. | Sci-Fi, Thriller | Director: Denis Villeneuve.
Ex Machina | USA (2014), Deutschland (2015) | 1Std 48Min. | Drama, Mystery, Sci-Fi | Director: Alex Garland.
Real Humans. Echte Menschen. Die kompletten Staffeln 1–2 | (2012–2014) | Drama, Science Fiction, Thriller | Director: Lars Lundström | (Orig. Äkta människor, Schweden 2012).
Alle Abbildungen der Serie Real Humans – Echte Menschen sind dem Streaming Angebot von Amazon Prime entnommen, gezeigt in der Erstausstrahlung auf svt ab 2012.
M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Bildung und Differenz der FernUniversität in Hagen, sie ist Magistra der Literatur- und Kulturwissenschaften in den Fächern Anglistik einschließlich Amerikanistik und Philosophie.
Korrespondenz-Adresse / correspondence address:
natascha.compes@fernuni-hagen.de