de:do denkste:<i> puppe</i>
denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.1 Nr.1 (2018) | Rubrik: Fokus


Doing Gender – Doing Human

Natascha Compes



Focus: puppen in bedrohungsszenarien
Focus: dolls/puppets in threat scenarios



Abstract:
Anhand einer Erzählung von Androiden, die über eine menschenähnliche Künstliche Intelligenz und Emotionen verfügen, und die in der menschlichen Gesellschaft einer nahen Zukunft leben, wirft die schwedische Serie Real Humans Fragen nach der Essenz von Mensch-Sein auf. Neben der Behandlung verschiedener Themen werden auch immer wieder Geschlecht und Geschlechterverhältnisse angesprochen. Um unerkannt und als scheinbar menschlich leben zu können, finden besondere Performanzen von Geschlecht Anwendung. Im Artikel wird untersucht, auf welche Weise dies in der filmischen Darstellung umgesetzt wird.

Schlagworte: Geschlecht; Doing Gender; Androide; Science Fiction; Fernsehserie

Abstract:
The Swedish series Real Humans raises questions about the essence of humanity in a narration on androids with human-like artificial intelligence and emotions, who live in human society in a nearby future. Besides several other topics gender and gender relations are addressed. In order to successfully pass as human, a certain strategy of gender-performance is made use of. In the article it is investigated how this is conducted in the filmic representation.

Keywords: Gender, Doing Gender, Androids, Science Fiction, TV-series

Zitationsvorschlag: Compes, N. Doing Gender – Doing Human. de:do 2018, 1, 92-101. DOI: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:467-13212

Copyright:Natascha Compes. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).

DOI: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:467-13212

Veröffentlicht am: 17.05.2018

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[…] das, was die Männlichkeit oder die Weiblichkeit ausmache, sei ein unbekannter Charakter, den die Anatomie nicht erfassen kann. […] Nichts wissen wir darüber, und die Zweigeschlechtlichkeit ist doch ein so auffälliger Charakter des organischen Lebens, durch den es sich scharf von der unbelebten Natur scheidet.

Sigmund Freud (1933/1969)

Androide Puppen

Unter den verschiedenen Arten von Puppen haben Androiden, sich autonom fortbewegende Roboter menschenähnlicher Gestalt, eine Sonderstellung inne. Als menschliches Produkt stellen sie das Abbild ihrer Erbauer_innen dar, verfügen aber zugleich über Kräfte, die menschliche Fähigkeiten überschreiten. Nicht nur hinsichtlich ihrer Stärke und Lebensdauer, sondern auch in der binären Logik ihrer Künstlichen Intelligenz (KI) sind sie Menschen weit überlegen. Der Wunsch, diese Überlegenheit für sich selbst ebenso nutzbar zu machen und Leben1 erschaffen zu können, beschäftigt die Menschheit konstant über die Zeiten hinweg. Leben, das „unbefleckt“ empfangen werden kann, nicht den mühevollen Weg der Geburt gehen muss und schließlich sogar der Sterblichkeit trotzt, wird in literarischen, künstlerischen sowie filmischen Werken immer wieder, mal in Form dystopischer, mal utopischer, Darstellungen von Doppelgängern, Golems, Robotern, Cyborgs, Androiden und Klonen behandelt. Von Ovids Pygmalion-Mythos der Antike über Mary Shelleys Frankenstein (1818) bis hin zu Blade Runner (Ridley Scott, 1982) oder Alex Garlands Ex Machina (2015) ist ihnen allen gemein, dass sie sich mit der Erschaffung künstlichen Lebens und der Auslotung der Verhältnisse zwischen dem Menschen und seiner Schöpfung auseinandersetzen (Telotte 2016, 5; Heath 2016, 72).

Roboter, Androiden oder Cyborgs bevölkern aber nicht nur die Werke der Fiktion, auch Bereiche der zivilen und militärischen Forschung befassen sich mit der Erschaffung von Mensch-Maschinen sowie der Übertragung menschlichen Verstandes auf digitale Speicherorte, um humane Fähigkeiten maschinellen anzupassen und zu optimieren (z.B. Moravec 1988, 123; Warwick 2000). Abgesehen von Forschungsrichtungen wie der Informatik, Robotik oder Medizin, die unmittelbar an der Herstellung der Technologien beteiligt sind, wird ein Human Enhancement und seine Konsequenzen von Disziplinen, wie etwa den Disability Studies, kritisch betrachtet, aber auch die Philosophie z.B. setzt sich mit Post- und Transhumanismus und den möglichen Folgen einer „Überwindung“ von Mensch-Sein auseinander (z.B. Braidotti 2014; Habermas 2001). Es werden die Veränderungen ergründet, die sich in den Mensch-Maschine-Beziehungen ergäben, wenn Androiden über eine fortgeschrittene Form der KI, die sie zu „selbstständigem Denken“ befähigte, verfügten. Was zunächst unrealistisch klingen mag und für die Meisten derzeit noch eindeutig im Bereich der Science Fiction (SF) verortet ist, beinhaltet jedoch Fragen, die durch wachsende technologische Möglichkeiten verstärkt medial wie auch wissenschaftlich diskutiert werden. Auf internationalen Konferenzen setzen sich Wissenschaftler_ innen bereits mit den möglichen Auswirkungen sexueller und affektiver Mensch-Maschine-Beziehungen auseinander2, auch existieren, gleichfalls von Wissenschaftler_innen initiiert, entsprechende Kampagnen3, die sich wiederum gegen Beziehungen solcher Art aussprechen. Da einige Positionen davon ausgehen, dass es sich dabei nur noch um eine Frage der Zeit handelt (David Levy (2009) gibt für die Entwicklung von artificial-emotion technologies das Jahr 2025 an), wird auch bereits eine Einführung von Grundrechten für Roboter diskutiert (Darling 2012, 19).

Die Bedeutung, die posthumanes Leben für den Körper, die Materie und infolgedessen für die Geschlechterverhältnisse haben kann, wird auch innerhalb der feministischen Wissenschaft rezipiert. In-Vitro-Fertilisation oder Klonversuche stellen durch die Verlagerung von Schwangerschaft und Geburt außerhalb des weiblichen Körpers in Aussicht, bestehende Geschlechterverhältnisse neu zu gestalten, die Frauen immer noch häufig an den Bereich der Reproduktion und Care-Tätigkeiten binden.4 Neben der Chance sich einseitig zugewiesener Care- Tätigkeiten zu entledigen, könnte die Entwicklung solcher Technologien ein Post-Gender-Zeitalter begründen, das Raum für ein Undoing von Gender bietet, welches binäre Geschlechterbilder hinterfragt und eine Pluralisierung von Geschlecht im Sinne einer Vielfalt von „a thousand tiny sexes“ (Deleuze 1987, 213) ermöglicht. Befürworter_innen sehen in der Figur der Cyborg, die im Allgemeinen als ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine verstanden wird, zahlreiche Erscheinungsmöglichkeiten von Geschlecht. „Cyborgism could well be a bridge to different types of posthumans, some with male bodies, others clearly female, others yet who are hermaphrodites, and still more people who will be quite genderless. And there will be new sexes” (Gray 2000, 159). Auch Donna Haraway formulierte bereits 1985 im Cyborg Manifesto die oppositionellen Möglichkeiten der Cyborg optimistisch. Für sie bestand in der Denkfigur der Cyborg die Möglichkeit, sich eine Welt ohne binär strukturierte Geschlechterverhältnisse vorzustellen (Haraway 1995, 34). Ihre Figur der Cyborg5

[...] ist eine überzeugte AnhängerIn von Partialität, Ironie, Intimität und Perversität. Sie ist oppositionell, utopisch und ohne jede Unschuld. Cyborgs sind nicht mehr durch die Polarität von öffentlich und privat strukturiert, Cyborgs definieren eine technologische Polis, die zum großen Teil auf einer Revolution sozialer Beziehungen im oikos, dem Haushalt, beruht. Natur und Kultur werden neu definiert. (ebd.)

Vertreterinnen der Gegenseite wiederum hinterfragen den militärischen Einsatz solcher Technologien und die Entwicklung künstlicher Reproduktionstechnologien kritisch. Die enge Verbindung von Männlichkeit und Technologie löst hier eher Misstrauen und Ängste vor männlicher Aneignung und Kontrolle weiblicher Reproduktionsfähigkeiten aus, die zu einer repressiven Bevölkerungspolitik führen könnten (Weber 2006, 398; Butler 2011, 24).
Dass Fragen von Menschlichkeit und Geschlecht auf weiteren Ebenen eng miteinander verknüpft sind, diskutiert Katherine Hayles unter anderem anhand des Turing-Tests, der als Methode zur Unterscheidung von menschlicher und Künstlicher Intelligenz Verwendung findet. Das 1950 von Alan Turing so benannte Imitation Game soll über die Zuordnung von Geschlecht überprüfen, ob das Gegenüber menschlich ist. Eine männliche Person (A), eine weibliche Person (B) und eine Fragen stellende Person, gleich welchen Geschlechts, sind in verschiedenen Räumen untergebracht, die Kommunikation erfolgt schriftlich, um nicht über die Stimme bereits Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen. Die fragende Person muss nun herausfinden, welche der beiden Personen weiblich ist. Da beide versuchen werden, die Interviewer_in von ihrer Weiblichkeit zu überzeugen, schlägt Turing vor, die Fragestellung „Can machines think?“ in „What will happen when a machine takes the part of A in this game?“ (Turing 1950, 433ff.) zu ändern. Er stellt zur Diskussion, ob die Interviewer_innen das Geschlecht genauso häufig falsch interpretieren werden, wenn eine Künstliche Intelligenz und eine menschliche Person das Imitation Game spielen, wie für den Fall, dass es von einem Mann und einer Frau durchgeführt wird. Dies bedeutet zunächst, dass die gender identity etwas ist, das sich darstellen lässt, nicht etwas, dass unveränderbar mit dem Geschlechtskörper einhergeht.

If you distinguish correctly which is the man and which the woman, you in effect reunite the enacted and the represented bodies into a single gender identity. The very existence of the test, however, implies that you may also make the wrong choice. Thus the test functions to create the possibility of a disjunction between the enacted and the represented bodies, regardless which choice you make. What the Turing test “proves” is that the overlay between the enacted and the represented bodies is no longer a natural inevitability but a contingent production, mediated by a technology that has become so entwined with the production of identity that it can no longer meaningfully be separated from the human subject. (Hayles 1999, xiii)

Turing impliziert mit dieser Testmethode, auch wenn dies vermutlich nicht seine Intention war (siehe dazu Hayles 1999, xiiff.), dass es ebenso denkbar sei, dass eine Künstliche Intelligenz Menschlichkeit vorgeben könne, wie z.B. für einen Mann Weiblichkeit zu imitieren. Menschlichkeit scheint also genauso wenig ausschließlich mit dem biologischen Körper verbunden zu sein, wie Geschlecht. Beides lässt sich, Turing zufolge, schauspielern und es scheint eine Verbindung zwischen beidem zu bestehen. Da bisher noch keine KI den Test zweifelsfrei bestanden hat, bezieht sich die Vorstellung von performativer Menschlichkeit – Doing Human – auf den Bereich des Hypothetischen. Die Verschränkungen von Geschlecht und Menschlichkeit, also Doing Gender und Doing Human, sollen an dieser Stelle aufgegriffen werden und anhand eines Werkes der Fiktion, der schwedischen Fernsehserie Äkta Människor aus dem Jahr 2012–2014, betrachtet werden.
In Deutschland auf Arte unter dem Titel Real Humans ausgestrahlt, behandelt die Serie, die dem Drama und Science Fiction Genre zugeordnet wird, Fragen nach dem Wesen der Menschlichkeit, indem sie den Umgang und das Zusammenleben mit Androiden in der schwedischen Gesellschaft einer nahen Zukunft darstellt. Themen wie emotionale Beziehungen zwischen Menschen und Hubots (Human Robots), aber auch eine Einführung von Grundrechten für diese, sowie Geschlechterbeziehungen werden wiederholt explizit und implizit angesprochen. Zu einer Betrachtung von Humanität in einer filmischen Darstellung eignen sich Androiden außerordentlich gut, da das Bild des menschlichen Roboters auf besondere Weise in der Lage ist, Fragen von gesellschaftlicher Relevanz zu spiegeln und als Instrument der Sichtbarmachung dienen kann. So ist es gerade die Menschenähnlichkeit, die den meisten Puppen gemein ist, welche in der sich selbst bewegenden Form, dem androiden Roboter, besonders stark ausgeprägt ist, und die per se ein besonderes Spiegelbild des Menschen darbietet. Ferrando schreibt ihnen die Funktion der Antagonisten oder des „symbolisch anderen“ zu, des Objektes, das den Blick der Betrachter_innen auf sich zieht.6

The space of the symbolic ‘other’, historically attributed to women people of other colours than white, non-heterosexual people and so on, left empty, has been filled by the automata. […] Avatars, robots and other non-human entities are already becoming the dark side of the dual, invested in the same symbolic role the feminine had held in the past. (2015, 275, 278, siehe auch Ornella 2015, 331)

Um die Androiden als menschlich darzustellen, wird ihnen in der Serie Real Humans ein Äußeres verliehen, das sich nur in wenigen Details von dem der Menschen unterscheidet. Ein starrer Blick, etwas „eckige“ Bewegungen und eine makellose Haut lassen für die Zuschauer_in den Hubot erkennen. Obwohl bei den Hubots, die sich als Menschen ausgeben, diese Attribute reduziert werden, indem sie z.B. Kontaktlinsen tragen, die ihre künstliche Augenfarbe verstecken, besteht für die Zuschauer_innen, im Gegensatz zu den Menschen in der Serie, nur selten ein Zweifel, der dann auch schnell aufgelöst wird, wer Hubot ist und wer Mensch. Hier kommt nun die Komponente Geschlecht hinzu.
Bereits für Sigmund Freud war offensichtlich, dass die Unterscheidung von männlich oder weiblich die erste ist, die wir machen, wenn wir „mit einem anderen menschlichen Wesen zusammentreffen“ (Freud 1969, 162, Hervorh. NC). Dementsprechend würde sich bei einem Wesen, das auf Anhieb als nicht-human identifiziert würde, diese Unterscheidung erübrigen. Um in der Serie also eine glaubhafte Darstellung von Menschlichkeit zu ermöglichen, stellt ein menschlich aussehender Körper, mit einer „eindeutigen“ Geschlechtszuschreibung eine Grundvoraussetzung dar.
Auch Forschung, die sich mit einem Post-Gender im Post-Humanen beschäftigt, sieht Geschlecht als eine Eigenschaft, die auch in Zukunft neben Beziehungsfähigkeit oder Emotionalität noch eine notwendige Komponente menschlicher Identität bilden wird. „Even if sex will have no biological or physiological relevance for robots, in the future gender will be reaffirmed in its hermeneutical role, and precisely: for machines, in their process of identity formation; for humans to better interact with the machines“ (Ferrando 2014, 15). Somit stellt sich nun die Frage, auf welche Weise in der Serie Real Humans Menschlichkeit und Geschlecht miteinander verbunden sind.

Die Serie: Real Humans

Im Schweden der nahen Zukunft werden Hubots, die nicht nur aussehen, sprechen und sich bewegen wie Menschen, sondern auch Emotionen und Charakterzüge besitzen und über eine fortgeschrittene Version Künstlicher Intelligenz verfügen, in Unternehmen wie Privathaushalten zur Erledigung unangenehmer Arbeiten, Care-Tätigkeiten oder Unterhaltungszwecken eingesetzt. Grundsätzlich sind sie fügsame und diensteifrige Maschinen, die keine Ansprüche an ihre Tätigkeiten oder Besitzer_innen stellen und sich mit der Möglichkeit, ihren Akku an einer Steckdose aufzuladen, bescheiden zufrieden geben. Abgesehen von einer Gruppe „freier“ Hubots, die „Kinder Davids“, deren Erfinder David Eischer sie durch einen veränderten Programmiercode mit „freiem Willen“ ausgestattet und somit zum Leben7 erweckt hat, hinterfragen „normale“ Hubots die herrschende Gesellschaftsordnung nicht. Eischers Code ermöglicht es den befreiten Hubots, die Asimovʼschen Gesetze zu überschreiten. Diese Gesetze der Robotik, 1942 von Isaac Asimov in dem Roman Runaround (1942, 41) formuliert, besagen vor allem, dass Roboter Menschen bzw. der Menschheit keinen Schaden zufügen dürfen, auch nicht durch das Unterlassen von Handlungen. Die Gruppe der „wilden“ Hubots strebt allerdings die „Befreiung“ weiterer Androiden durch den Code an, auch wenn dies einen gewaltsamen Konflikt mit den Menschen bedeutet. Die Positionen innerhalb der Gruppe sind gespalten. Einigen ist es ein Wunsch, möglichst menschenähnlich zu sein und unerkannt unter Menschen zu leben, anderen, die Herrschaft des Menschen über die Maschinen zu unterwandern und menschliches Dasein auszulöschen, da eine friedliche und gleichberechtigte Koexistenz nicht möglich scheint.
Die menschliche Gesellschaft ist in ihren Empfindungen zu den Hubots genauso gespalten. So findet sich in der Serie ein Spektrum von Haltungen, die sich in feindlichen Lagern gegenüberstehen. Von Anti-Hubot-Aktivist_innen der Äkta Människor-Bewegung bis hin zu „Transhumansexuellen“, die sexuelle und emotionale Beziehungen zu Hubots statt Menschen pflegen, aber auch Menschen, die sich selber als Hubots ausgeben, werden diverse Positionen abgedeckt. In ihrer Beschäftigung mit Mensch-Maschine-Interaktionen und ihren Beziehungen wirft die Serie, die gerade aufgrund der multiperspektivischen Behandlung ihres Stoffes mit dem „Prädikat besonders wertvoll“ der Deutschen Film- und Medienbewertung8 ausgezeichnet wurde, klassische Fragen des Science Fiction Genres auf (Ornella 2015, 331).
Im Zentrum der Serie steht die Familie Engmann, die aus den Eltern Hans und Inger und den Kindern Matilda, Tobbe (Tobias) und Sofia besteht. Hans kauft für Ingers Vater Lennart im Hubot-Market einen Pflege-Hubot, Vera, die den reparaturbedürftigen Odi ersetzen soll. Kostenlos erhält er Anita dazu, eine der freien Hubots, die von Schwarzmarkthändlern gekidnapped und an den Hubot-Market weiterverkauft wurde. Ihr Befreiungscode, und damit ihre „Identität“ als Mimi, wurde überschrieben und so erinnert sie sich zunächst nicht an ihre Existenz, bevor sie als Anita „aufwacht“. Während Vera bei Lennart leben soll, zieht Anita gegen den anfänglichen Widerstand Ingers bei den Engmanns ein.

Geschlechterverhältnisse der Menschen

Die Geschlechterverhältnisse innerhalb der Engmann-Familie wirken zunächst gerecht hinsichtlich der Aufgabenverteilung von entlohnter Arbeit und Care- Work verteilt. Inger ist als Anwältin tätig und trotz beruflicher Belastung für ihre Familie da. Hans kümmert sich neben der Arbeit ebenfalls um Haushalts- und Familienfragen. Die beiden besitzen ein Haus in einer wohlhabenden, aber nicht übertrieben reich wirkenden Gegend und leben ein „Doppelverdienermodell“ mit Kindern. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Eltern kommt Anita gerade recht und kann, ohne zu ermüden, der jüngsten Tochter Sofia Gutenachtgeschichten vorlesen oder das perfekte Frühstück anrichten. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich kleine Risse im Bild der vorbildlichen Familie, so werden Inger wiederholt Vorwürfe wegen ihrer beruflichen Belastung gemacht, die Diskurse der Vereinbarkeit von Familie und Beruf spiegeln. Hans hingegen ist solcher Kritik nicht ausgesetzt.
Einen Gegenentwurf dazu bilden ihre Nachbarn, die Larssons. Roger, Therese und Thereses Sohn Kevin leben zwar in der gleichen Straße, wirken aber weitaus traditioneller und konservativer. Insbesondere im Kontrast zu der relativ modernen Einrichtung der Engmanns wirken ihre Möbel ebenso altbacken wie ihre familiäre Rollenverteilung. Roger, der beruflich unter Druck steht, da Hubots seine Tätigkeiten im Lager effizienter verrichten als er, schlägt Therese, die – anscheinend Hausfrau und Mutter – ihre Freizeit mit dem Fitness-Hubot Rick zubringt. Nachdem Roger sie geschlagen hat, verlässt Therese ihn mit Kevin und Rick. Ihre Entscheidung, Roger zu verlassen und ihr Leben mit neuem Job und jungem Liebhaber neu zu beginnen, entspricht hier allerdings weniger der klassischen Rollenzuschreibung von Frauen als passive Opfer von Gewalt, sondern enthält, wie in Ingers Darstellung auch, Potenzial einer vielschichtigen Abbildung von Geschlechterverhältnissen.
Auch Lebensentwürfe jenseits heteronormativer Beziehungen werden in Form des lesbischen Paares, bei dem die freien Hubots eine Zeit lang Unterschlupf finden, in der Serie als gesellschaftlich akzeptiert dargestellt. Für die menschliche Gesellschaft scheint eine lesbische Pastorin kein Problem darzustellen, Kritik vonseiten ihrer Gemeinde schlägt ihr allerdings entgegen, als sie dem Hubot Gordon erlaubt, am Gottesdienst teilzunehmen. Dennoch wirkt ein Großteil der Menschen eher gleichberechtigt denkend und im Vergleich zu einigen Hubots regelrecht fortschrittlich. Tendenziell werden die menschlichen Figuren als „runde“ Charaktere erzählt, sie weisen, nicht nur innerhalb ihrer Geschlechterverhältnisse, Brüche und Inkonsistenzen auf, welche sie im Vergleich zu den logisch denkenden Hubots besonders menschlich erscheinen lassen.

Transhumansexualität

Als Transhumansexuell (THS) werden in der Serie Personen benannt, die Liebesbeziehungen zu Robotern pflegen und diese sexuell begehren. Tobbe, der Sohn der Engmanns, verliebt sich in Anita/Mimi und interessiert sich nicht mehr für menschliche Mädchen seines Alters. Nachdem Hans einen Termin für ihn bei einer Therapeutin vereinbart hat, erfährt Tobbe, dass er damit nicht allein ist. Auch hier zeigt sich die Familie Engmann als verhältnismäßig offen und tolerant. Im Gegensatz zu anderen Teilen der Gesellschaft, wird mit dem Thema offen umgegangen und Tobbes sexuelles Begehren, wenn auch mit leichter Besorgnis, respektiert. Die Darstellung von Transhumansexualität spiegelt auf der gesellschaftlichen Ebene auf anschauliche Weise Prozesse des Otherings, also der „Ver-Anderung“ bestimmter Gruppen zur Rechtfertigung ihrer Exklusion. So erinnern die Positionen und Äußerungen zu dieser Begehrensweise in der Serie an schwulen- und lesbenfeindliche oder rassistische Diskurse unserer Gegenwart. Therese und ihrer Freundin Pilar wird z.B. in Begleitung ihrer Hubot-Partner der Zutritt zu einer Disco verwehrt oder der Vertrieb pornographischen Materials, das Hubots abbildet, ist gesetzlich untersagt und grassiert sozusagen unter der Hand. Hier zeigt sich, dass gesellschaftsrelevante Themen von SF aufgegriffen werden können, und wie über das Bild der Interaktion von Roboter und Menschen Kritik an konservativ-diskriminierenden Positionen geübt werden kann, ohne diese konkret ausbuchstabieren zu müssen. Es bleibt den Zuschauer_innen überlassen, die realweltlichen Bezüge zu erstellen, und die Darstellung von Parallelen sowie gegensätzlicher Positionen dienen einer realistischen und reflektierten Erzählung von Mensch-Sein.

Das Geschlecht der Hubots

Die menschlichen Geschlechterbilder, die sich in einem fließenden Aushandlungs- und Entwicklungsprozess befinden, werden durch eine starre, traditionelle Darstellung von Geschlechtsrollen der „normalen“, unfreien Hubots kontrastiert. Sie sind zwei eindeutig zuzuordnenden Geschlechtern zugeteilt, die zumeist klassische, geschlechtsspezifische Tätigkeiten ausführen. Die weiblichen Hubots sind überwiegend Kindermädchen, Pflegerobotor oder Sex-Hubots, die männlichen Hubots oft Bauarbeiter oder Fitnesstrainer, deren Tätigkeitsbereiche weitestgehend nach öffentlicher und privater Sphäre geteilt sind, obwohl eine Rechtfertigung geschlechtlicher Arbeitsteilung, aufgrund körperlicher Unterschiede, bei den Hubots gegenstandslos ist. Auch äußerlich wirken sie fast übertrieben zweigeschlechtlich, die weiblichen, meist sehr attraktiven, jungen Hubots haben lange Haare und tragen überwiegend – je nach Aufgabenbereich Dienstmädchenuniformen, die männlichen sind ebenfalls jung, muskulös und weitestgehend kurzhaarig und tragen Arbeitsuniformen wie Overalls oder Bauarbeiter-Helme.
Die freien Hubots dagegen wirken eher androgyn, wenn auch nicht geschlechtslos. So lassen sich Niska, Marylin, Fred, Flash und Gordon zwar ebenfalls in zwei Geschlechter einteilen, sie haben aber einen weniger traditionellen, uniformen Kleidungsstil als die unfreien Hubots. Sie tragen Kleidung in Erdtönen, der einem Mix „indianischer“ Ethno-Attribute entspricht, wie z.B. Stirnbänder, Federn und mit Lederbändern umwickelten Stoffen sowie an Western-Style erinnernde Accessoires wie Cowboystiefel und Halstücher. Diese besonders organisch wirkenden Materialien und Farben stehen in starkem Kontrast zu ihrem starren Blick und ihrer unnatürlich glatten Haut, betonen aber auch ihre Freiheit und Individualität, im Gegensatz zu den uniformierten, unfreien Hubots.
Ein Passing, das erfolgreiche Vortäuschen einer anderen als der zugewiesenen sozialen Identität, in dem die Hubots als menschlich durchgehen, gelingt den Androiden durch eine Übernahme menschlicher Verhaltensweisen auf mehreren Ebenen. Wie bereits erwähnt, gehört in der Serie eine eindeutig zuordenbare Geschlechtsidentität als entweder männlich oder weiblich zum Passing dazu und soll hier an einem Beispiel ausführlicher betrachtet werden. An der Figur von Flash lässt sich zeigen, wie eine stereotype Überbetonung von Weiblichkeit ihre Aufnahme in die menschliche Gesellschaft vereinfacht. In ihrem Fall scheinen besonders stark „biologisch“ determinierte Zwänge ihre Wirkung zu entfalten. Sie verlässt die freie Hubotgruppe, um sich in eine barbiepuppenartige Prinzessin zu verwandeln, deren oberste Priorität ein Ehemann und Kinder sind (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1: Flash wartet auf Douglas

Abbildung 1: Flash wartet auf Douglas, der nichts von ihrer Hubotidentität weiß (Real Humans 2013, S2E2, 00:26:52)

Dies entspricht dem prototypischen Verhalten ihres Robotermodells, der als „Nanny-Hubot“ verkauft wird. Interessanterweise setzen sich diese Triebe bei Gordon, ihrem Zwillingsbruder, der als männliche Version des Nanny-Hubots käuflich ist, nicht durch. Der Wunsch nach einem heteronormativen Lebensentwurf von Mutter-Vater-Kind geht so weit, dass Flash sich sogar aus Liebeskummer das „Leben“ nehmen will, indem sie den Stecker, den sie zum Aufladen benötigt, abschneidet.
Ein ähnliches Beispiel für einen männlichen Hubot stellt Rick dar. Nachdem seine Programmierung verändert wurde, zeigt sich bei ihm ein überzeichnetes, hypermaskulines Verhalten. Seit seine Besitzerin Therese ihn illegal mit der Funktion für Sex hat ausstatten lassen, scheint es, als hätte er einen „digitalen Testosteronschub“ bekommen. Mit der Neuprogrammierung geht bei ihm die Ausbildung eines Sexual- und Aggressionstriebs einher, der Therese, da sie ihn nicht mehr kontrollieren kann, ängstigt. Im Verlauf der Serie wandelt er sich vom braven Fitnesstrainer zum ramboartigen Kämpfer (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2: Rick hat eine Waffe

Abbildung 2: Rick hat eine Waffe gestohlen und nimmt in Flecktarn und Stirnband den Kampf gegen die Menschen auf (Real Humans 2013, S2E6, 00:02:21)

Der symbolische Kampf des Menschen gegen die Maschinen im „Hub-Battle- Land“, einer Art Paintball-Anlage, in der Menschen Hubots „erschießen“ können, die so programmiert sind, dass sie zwar Angst und Schmerz zeigen, sich aber nicht wirklich zur Wehr setzen können, wird von Rick umgekehrt. Er führt die Hubots an, nachdem er ihre Asimovsperre ausgeschaltet hat, und durchläuft, ebenso wie Flash, eine äußere wie innere Transformation. Die umfängliche Aufnahme in die menschliche Gesellschaft scheint hier mit einer stereotypen Geschlechterrollenzuschreibung einherzugehen, die sich auf regelrecht parodistische Weise vollzieht. Die Kopie ist in diesem Fall „echter“ als das Original. In der Erzählung der Serie funktioniert das nur bis zu einem gewissen Punkt, die Kopierund Parodierbarkeit von Menschlichkeit über Geschlecht erreicht eine Grenze, wenn weitere notwendige Komponenten fehlen. Flash, die sich frei und ohne Besitzer_in bewegt, kann unter Zuhilfenahme ihrer stereotypen Weiblichkeit als menschlich durchgehen. Rick dagegen, bei dem auch nicht ganz klar wird, zu welchem Ausmaß er „befreit“ wurde, wechselt die Besitzer_innen, kann sich nicht frei bewegen und zuletzt nicht erfolgreich passen.
Weniger eindeutig, aber immer noch deutlich wahrnehmbar zeigt sich eine Verstärkung von stereotyper Weiblichkeit im Fall von Bea, die als einzige der freien Hubots bereits unerkannt als Mensch lebt. Als coole Ermittlerin der Einheit zur Hubot-Kriminalität, wirkt sie zunächst nicht besonders traditionell und weckt Assoziationen zu filmischen Darstellungen tougher skandinavischer Heldinnen, wie Kommissarin Lund oder gar Lisbeth Salander der Millenium- Trilogie. Nachdem sie Roger zu ihrem menschlichen Helfer auserkoren hat, verwandelt jedoch auch sie sich in eine eher konventionell-brave Version Frau. Sie trägt Kleider und schminkt sich ein blaues Auge von den angeblichen Schlägen ihres Ex-Partners herrührend und inszeniert so durchaus erfolgreich die Rolle des „schwachen Geschlechts“ (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 3: Bea schminkt sich

Abbildung 3: Bea schminkt sich in einer Umkleidekabine ein blaues Auge, um an Rogers Fürsorge zu appellieren (Real Humans 2012, S1E2, 00:38:50)

Selbst als sie Roger ihre Hubot-Identität offenbart, hat sie eine klischeehafte Situation arrangiert, in der sie im seidenen Negligé bei Kerzenschein, verstreuten Rosenblättern und romantischer Musik zuhause auf ihn wartet, um ihn zu verführen.

Krise der Männlichkeit – Krise der Menschlichkeit?

In der Betrachtung der Serie fällt auf, dass neben den handlungsstarken Frauenrollen, die meisten männlichen Charaktere eher passiv gezeichnet sind. Es gibt vor allem unter den menschlichen Männern klassische Darstellungen der auch im real-medialen Diskurs und gesamtgesellschaftlich lang und vielbeschworenen Krise der Männlichkeit (Meuser 2010, 326). Die Ursachen scheinen hier klar auf der Hand zu liegen: Im Erzählstrang zu Roger stehen der Verlust seiner Erwerbstätigkeit und seine daraus resultierende Radikalisierung gegen Hubots, also die Verdrängung des Mannes durch die Roboter, im Vordergrund. Aber nicht nur die Roboter sind feindlich, die Männer sehen sich auch einer Bedrohung durch die Frauen ausgesetzt. Rogers Vorgesetzte ist eine Frau, die sich entscheidet, ihre menschlichen (und in der Serie männlichen) Angestellten durch Hubots beiderlei Geschlechts zu ersetzen. Der (menschliche) Mann stellt eine bedrohte Art dar – Roboter und Frauen nehmen ihm seinen Arbeitsplatz und unterhöhlen damit die Legitimation patriarchaler Macht. Diese Figuren einer eher untergeordneten Männlichkeit (Connell 2015, 134) werden noch weiter an den Rand gedrängt, und es widerfährt ihnen eine symbolische Kastration, indem sie entweder von Robotern bevormundet werden oder beruflich wie privat durch solche ersetzt werden.9 Schließlich ist es dann auch noch die Hubotfrau Bea, in die Roger sich in Unkenntnis ihrer Hubot-Identität verliebt und die ihn für ihre Zwecke benutzt. Rogers Handlungen bestehen entweder in gewalttätigen Ausbrüchen menschlichen Frauen und männlichen Hubots gegenüber oder in dazu widersprüchlicher Unterordnung unter menschliche Männer oder nicht-menschliche Frauen.
Plakativer noch als in Rogers Fall, der unentschlossen zwischen seiner Roboterund Frauenfeindlichkeit hin und her schwankt, erfolgt die Darstellung von Malte. Dieser Charakter entspricht dem klassischen Typus des Verlierers: Malte wohnt mit vermutlich über vierzig Jahren noch bei seiner Mutter, hat seinen Job als Postbote an Hubots verloren, ist begeistert von Waffen und sucht trotz großen Hasses auf die Androiden zur Befriedigung sexueller Bedürfnisse das Hubot- Heaven, ein Roboter-Bordell, auf, wofür er sich selbst, stellvertretend für alle seine anderen Unzulänglichkeiten, zutiefst verachtet. Für ihn stehen als Handlungsoptionen Gewalt oder Selbstmitleid zur Verfügung; schließlich wird er von der Hubot-Frau Niska getötet.
Weitere Hinweise auf eine Krise der Männlichkeit finden sich in Staffel zwei der Serie. So wird Hans Engmann arbeitslos, ohne dass die genauen Gründe dafür benannt werden, aber die Zuschauer_innen sehen ihn, von Vera, dem Haushaltsund Pflegehubot, der nach Lennarts Tod bei den Engmanns lebt, immer wieder ermahnt, sich vernünftig zu ernähren oder sinnvoll zu beschäftigen. Sein Alltag, den er zu großen Teilen im Morgenmantel und Bass spielend auf der Couch verbringt, wird von seiner Frau ebenso mit hochgezogener Augenbraue beobachtet, wie kritisch kommentiert.
Leo, der biologische Sohn Eischers, der als Kind bei dem Versuch seine Mutter Beatrice vor dem Ertrinken zu bewahren selber in Gefahr gerät, wird von Mimi/ Anita aus dem Wasser geborgen und von seinem Vater einer Prozedur unterzogen, die sein Leben rettet, ihn aber zum Cyborg macht. In der Serie zunächst als heldenhafter Anführer der freien Hubots eingeführt, wird er schließlich gefangen genommen und am Ende der ersten Staffel von Bea, der Hubotverkörperung seiner Mutter, getötet und reiht sich so in die Gruppe der männlichen Protagonisten ein, denen eine (nicht nur) symbolische Auslöschung durch die Frauenrollen widerfährt.

Doing Human

Die angeführten Beispiele zeigen, dass sich Geschlechterverhältnisse, zumindest in der binären Betrachtungsweise von männlich und weiblich, in der Serie Real Humans im Fluss befinden. Der Prozess der „Menschwerdung“ der freien Hubots, also sobald sie ein Passing als menschlich wagen, besteht unter anderem darin, geradezu klischeehaft Geschlechterstereotype zu bedienen. Aber auch die Aushandlungsprozesse der menschlichen Geschlechterverhältnisse spiegeln reale Geschlechterkonflikte, wie die Wahrnehmung des Feminismus als Bedrohung, Vereinbarkeitsproblematiken und Krisen der Männlichkeit wider, und so wird offenbar, dass sowohl Mensch-Sein sowie Mensch-Darstellen eng mit Geschlecht verbunden ist. Gerade weil die menschliche Realität von einer Veruneindeutigung klassischer Geschlechterrollen geprägt ist, scheinen die Hubots nur überzeugender und eindeutiger als menschlich dechiffrierbar in ihrer Überzeichnung von geschlechtlicher Menschlichkeit. Immer wieder wird somit Frage aufgeworfen, bei wem es sich letztlich um Original oder Kopie handelt, denn auch in anderen Bereichen übertreffen die Hubots die Menschen oft an „Menschlichkeit“. Die bescheidenen Hubots, wie Mimi zum Beispiel, lügen nicht, sind absolut zuverlässig und verlieren nie die Geduld und scheinen damit über viele menschliche Tugenden zu verfügen. Dadurch wird der Blick zurück auf das Original gerichtet und die Frage gestellt, was die Originalität ausmacht, insbesondere wenn dieses der Kopie gegenüber stellenweise sogar minderwertig ist.
Da die Androiden auf der narrativen Ebene der Serie durch eine Ausgestaltung stereotyper Geschlechterrollen auf die Menschen in der Serie besonders menschlich wirken, wird das Potenzial des filmischen Raums zur Destabilisierung einer konservativen, binären Geschlechterordnung, einem Post-Gender-Szenario, den teils euphorischen Vorstellungen feministischer Techno-Science-Befürworterinnen entsprechend, anscheinend nicht genutzt. Dies mag daran liegen, dass die Hubots, die von Menschen geschaffen werden, die sich innerhalb ihrer meist heteronormativ-vergeschlechtlichten Bezüge befinden, auch nur ebenso gestaltet sein können. Es besteht ohnehin die Frage, ob es innerhalb herrschender Wissensordnungen überhaupt die Möglichkeit zu radikaler Subversion geben kann. So sind filmische Darstellungen immer an die kulturellen Normen und gedanklichen Möglichkeiten ihrer Hersteller_innen gebunden. Für den Science Fiction Film konstatiert Ferrando, “[t]hat future is, really, the present dressed in silver clothes. Although these products are attempting to portray possible futures, their understandings are led by the cultural biases of their authors, reflecting the normative episteme of the historical time and social setting they represent” (2015, 270). Die Kopie kann also immer nur bedingt vom Original abweichen.
Betrachtet man aber die Serie als medial-diskursives Ereignis, in dem Methoden der „subversiven Wiederholung“ (Butler 1990, 214) Anwendung finden, und zwar insbesondere durch die Verschränkung von Menschlichkeit und Geschlechtlichkeit in der Darstellung der Hubots und der darin enthaltenen Spiegelung menschlicher Geschlechterbeziehungen, so finden sich Ansätze zu Handlungsmöglichkeiten für Vervielfältigungen und Verschiebungen bereits in der Sichtbarmachung von Menschlichkeit durch Geschlechterperformanz. Subversives Potenzial besteht dann also darin, dass Mensch und Maschine gleichgesetzt werden, und die Umkehrung des Blickes auf das Original schafft den Raum zur Dekonstruktion herrschender Normen. Hier besteht in der Verbindung von Technologie und Geschlecht eine performative Zitation oder ein queering das, wie Veronica Hollinger es in Anlehnung an Butler ausdrückt, bereits ein subversives Element darstellen kann.

As has been frequently pointed out, the techno-body reiterates itself through replication, not through reproduction, and it does not require the heterosexual matrix as the space within which to duplicate itself. Given the emphasis in theories of performativity on reiteration and citation, the techno-body as replicated body points us towards the utopian space of queer excess. Perhaps all techno-bodies are, at least potentially, queer bodies. (Hollinger 1999, 31)

Dies findet auch in der Serie Äkta Människor in ihrer multiperspektivischen Betrachtung von Menschlichkeit statt. So bieten die Roboter eine Projektionsfläche für verschiedene Interpretationen von Geschlecht, das mag sich nicht im Sinne eines radikalen und konsequenten Post-Gender abspielen, das sich aller Beschränkungen der (Zwei-)Geschlechtlichkeit entledigt und in der Aufhebung der einseitigen Reproduktionsordnung neue Formen von Geschlecht und daraus resultierend gänzlich neue Machtverhältnisse entwirft. Aber gerade durch die extrem stereotype Form von Geschlechterperformanz werden Kopie und Vorlage miteinander verglichen und der Blick zurück auf das menschliche „Original“ gerichtet. „Die parodistische Wiederholung der Geschlechtsidentität“, die nach Butler die „Illusion der geschlechtlich bestimmten Identität“ aufdeckt (1990, 215) besteht also nicht allein darin, dass die Hubots in ihrer überzeichneten Parodie von Geschlechterperformanz Verschiebungen von Geschlecht und daraus resultierende Machtverhältnisse repräsentieren, sondern in der Tatsache, dass Menschlichkeit und Geschlecht über die Figur des Roboters performed werden können.


[1] Was „Leben“ bedeutet, wird in philosophischer Tradition verschieden definiert, ohne dass ein Konsens darüber erreicht sei (was im Übrigen auch auf weitere Bereiche, wie etwa die Medizin, zutrifft). Nach Aristoteles z.B. lässt sich, hier stark verkürzt, Leben als die Beseeltheit beschreiben. Die Seele besitzt je nach Lebewesen (z.B. Pflanze, Tier oder Mensch) unterschiedliche Seelenvermögen und scheint untrennbar mit dem Körper verbunden (Über die Seele, Buch II, Kapitel 2). Dieser Sichtweise wird von René Descartes widersprochen, indem er Leib und Seele (oder menschlichen Geist) als separate Entitäten denkt. Ihm zufolge werden Willensregungen über Interaktionen im menschlichen Gehirn an den Körper weitergegeben und ausgeführt (Die Welt, Kapitel 18). Solch eine mechanistische Vorstellung vom ‚Menschenautomaten‘, der durch den menschlichen Geist und dessen Reflexionsfähigkeit lebendig wird, scheint der Idee von KI am ehesten zugrunde zu liegen.

[2] loveandsexwithrobots.org

[3] campaignagainstsexrobots.org

[4] Solche Überlegungen werden im Film Blade Runner 2049 thematisiert. Da die Replikantin Rachel ein Kind ausgetragen hat, scheinen reproduktive Fähigkeiten folglich auf Androiden übertragbar. Ein konsequentes Undoing von Gender findet in der Erzählung allerdings nicht statt, da es sich hier um einen weiblichen Androiden handelt (siehe dazu Kümmel 2017).

[5] Während der Begriff Cyborg im gängigen Sprachgebrauch zunächst keine eindeutige Geschlechtszuordnung beinhaltet, entspricht der Begriff des Androiden (menschenähnliche Maschinenwesen, von griechisch ἀνήρ aner „Mensch, Mann“ und εἶδος eidos „Aussehen“, „Gestalt“) einer Gleichsetzung von männlich und menschlich. Es wird auch von weiblichen Androiden, seltener von Gynoiden, gesprochen.

[6] Eine Analyse von Frauen im Film als Objekt des Blicks wurde von Laura Mulvey bereits 1975 vorgenommen.

[7] Wie bereits erwähnt, sind Definitionen von „Leben“ umstritten. In der Serie Real Humans scheinen verschiedene Ansätze Verwendung zu finden. In cartesianischer Tradition lässt sich der ‚befreiende‘ Code auf Datenträgern speichern und kann somit getrennt vom Körper der Androiden vorliegen. Dass allerdings derselbe Code wiederum das Potenzial besitzt, in jedem Androiden eine individuelle ‚Persönlichkeit‘ freizusetzen, die mit dem jeweiligen Körper verbunden ist, scheint einer aristotelischen Vorstellung von einer Verbindung von Leib und Seele näher zu sein.Die

[8] Begründung der Jury abrufbar unter: http://www.fbw-filmbewertung.com/film/real_humans_echte_ menschen _die_komplette_erste_staffel#film_explanation [letzter Zugriff 26.08.2017].

[9] Verweise auf aktuelle Diskurse werden hier erkennbar, derartige Bilder erinnern z.B. an fremdenfeindliche Propaganda, in der die sogenannte „Migrant_innenflut“ als Gefahr für die Ressourcenkontrolle insbesondere weißer, westlicher Männer ausgemacht wird. Aber auch der Wegfall von Arbeitsplätzen durch den Einsatz von Maschinen oder die Angst vor Verdrängung auf dem Arbeitsmarkt durch steigende Zahlen weiblicher Berufstätigkeit werden in Diskursen zur Krise der Männlichkeit immer wieder thematisiert.


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Filmographie

Blade Runner | USA 1982 | 1h 57 Min. | Sci-Fi, Thriller | Director: Ridley Scott.

Blade Runner 2049 | USA 2017 | 2h 44 Min. | Sci-Fi, Thriller | Director: Denis Villeneuve.

Ex Machina | USA (2014), Deutschland (2015) | 1Std 48Min. | Drama, Mystery, Sci-Fi | Director: Alex Garland.

Real Humans. Echte Menschen. Die kompletten Staffeln 1–2 | (2012–2014) | Drama, Science Fiction, Thriller | Director: Lars Lundström | (Orig. Äkta människor, Schweden 2012).

Abbildungen

Alle Abbildungen der Serie Real Humans – Echte Menschen sind dem Streaming Angebot von Amazon Prime entnommen, gezeigt in der Erstausstrahlung auf svt ab 2012.



Über die Autorin / About the Author

Natascha Compes

M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin im Lehrgebiet Bildung und Differenz der FernUniversität in Hagen, sie ist Magistra der Literatur- und Kulturwissenschaften in den Fächern Anglistik einschließlich Amerikanistik und Philosophie.

Natascha Compes

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