denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.3 Nr.1.2 (2020) | Rubrik: Fokus
Nadine Jessica Schmidt
Focus: Puppen/dolls like mensch – Puppen als künstliche Menschen
Focus: Dolls/puppets like mensch – dolls/puppets as artificial beings
Abstract:
Im vorliegenden Beitrag soll der spezifischen Frage nachgegangen werden, welche
verschiedenen Funktionsdimensionen dem literarischen Roboter-Motiv in der aktuellen
deutschsprachigen Erstleseliteratur zukommen. Insbesondere „humanoide Roboter“
erfreuen sich mit Blick auf die Mensch-Maschinen-Konstruktion offensichtlich
einer ungebrochenen Faszination. Ziel des Beitrags ist es, die überraschende Vielfalt der
literarischen Konstruktion von Mensch-Roboter-Beziehungen speziell in der Erstleseliteratur
darzulegen. In einem Ausblick wird abschließend noch kurz auf aktuelle Romane
für leseerfahrene Kinder eingegangen.
Schlagworte: Erstleseliteratur, Kinderromane, Roboter-Motiv
Zitationsvorschlag: Schmidt, N. J. „Aber Roboter Haben Kein Herz!“ Zur Literarischen Inszenierung Von Maschinenmenschen in Aktuellen Erstlesebüchern. de:do 2020, 3, 26-36. DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/5623
Copyright: Nadine Jessica Schmidt. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).
DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/5623
Veröffentlicht am: 20.10.2020
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Erstlesebücher sind Texte „die in Layout, Umfang, Syntax und Semantik
auf die Fähigkeiten der Kinder während des Lesenlernens Rücksicht
nehmen“ (Stenzel 2009, 1). Obgleich der Buchmarkt in diesem Bereich
boomt und Verlage zunehmend auf innovative Konzepte setzen1, erstaunt der
Mangel an einschlägiger Forschung. Entsprechend existiert auch hier keine Forschungsliteratur
zum literarischen Roboter-Motiv, obwohl künstliche Maschinenmenschen
im Bereich der fiktionalen Literatur für Erstleser*innen mittlerweile
durchaus ein wichtiges Themenfeld besetzen. Anders sieht es indes im Bereich
der Erwachsenenliteratur aus, denn da ist das Thema der sozial-interaktionistischen
Mensch-Maschinen-Verhältnisse, insbesondere die Rolle „humanoider
Roboter“, deutlich in das Blickfeld der inter- sowie transdisziplinären Forschung
gerückt (vgl. Esselborn 2019, Thimm et al. 2019, 111).
Was ist mit dem Begriff „Roboter“ gemeint? Generell geht es zunächst um
eine Maschine, die mithilfe künstlicher Intelligenz autonom mit ihrer Umwelt
interagiert und sich durch Erfahrung an neue Gegebenheiten anpasst“ (Brand
2018, 35). In den meisten Fällen ist aber ein „humanoider Roboter“ gemeint, der
wiederum als eine hoch entwickelte Robotermaschine zu verstehen ist und dessen
technologische Konstruktion menschlichen Geschöpfen in besonderem Maße
nachempfunden ist. Die in Aussehen und Gestalt höchst menschenähnliche Form
des humanoiden Roboters wird auch als „Android(e)“ bezeichnet (vgl. Neuhaus
2014, 159). Die „Erfindung“ des Roboters „als fiktionale Figur“ indes geht bereits
auf die 1920er Jahre zurück und hat über die tschechische Literatur Eingang in
die literarische Welt gefunden (vgl. Westermann 2014, 54). Erinnert sei hier an
das utopische Drama R.U.R. – Rossum’s Universal Robots (Čapek 1976, 79–196)
von dem tschechischen Schriftsteller Karel Čapek (1890-1938), mit dem das Wort
„Roboter“ international verbreitet wurde.
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, mit Blick auf die aktuelle Erstleseliteratur
(ELL)2 nach den vielfältigen Bedeutungsdimensionen bzw. Funktionen
von (humanoiden) Robotern und ihrer Faszination zu fragen, die mittlerweile ein
integraler Teil unserer „empirischen Lebenswelt“ sind. Insbesondere humanoide
Roboter „beflügeln“ offenbar die „Phantasie“ und sind in „Interaktion mit dem Homo sapiens zur Spannungserzeugung […] vielseitig einsetzbar“ (Galle 2017,
10). Wenn Roboter „als humanoid erkannt werden […], d.h. ihre Funktionspotentiale
den Eindruck von Autonomie erwecken“, sind sie offenbar besonders dazu
geeignet, „bei menschlichen Beobachtern ambivalente Emotionen auszulösen,
die sich zwischen Faszination und Irritation bewegen“ (Westermann 2014, 54).
Ob bzw. inwieweit das auch für fiktionale Erstlesebücher gilt, die ja vielfach die
ersten Texte sind, über die Kinder durch das eigenständige Lesen in die literarische
Roboterwelt eingeführt werden, ist im Folgenden die zentrale Fragestellung.
Für den hier vorgelegten Beitrag wurden insgesamt die folgenden fiktionalen
Texte der ELL ausgewertet3: Salah Naouras dreibändige Herr von Blech-Reihe
(Naoura 2007–2010), die ebenfalls dreibändige Robo-Land-Reihe des Autors
Zapf (2013–2015), das Buch Pepe und der Pups-Roboter von Jesko Habert (2016),
Lennart, Titus und die Reise zum Mars von Sabine Stehr (2018) und Mein Onkel,
der Roboter von Michael Petrowitz (2018).
Diese Texte werden einer eingehenden Textanalyse unterzogen mit Bezug
auf folgende Leitfragen: Welche Bedeutung nehmen Roboter im literarischen
Diskurs der ELL ein und als welche Funktionsträger fungieren sie? In welcher
Beziehung stehen sie zu den kindlichen Hauptfiguren? Und nicht zuletzt: Mit
Hilfe welcher Erzählweisen werden sie narrativ konstruiert und mit welchen
Fähigkeiten sind sie ausgestattet?
Unter Bezugnahme auf eine Reihe genereller Überlegungen zu Science-Fiction
und künstlichen Menschen bzw. Roboter als literarisches Motiv orientiert
sich die Darstellung der Ergebnisse an insgesamt vier „empirisch ermittelten“
Funktionsdimensionen, die verdeutlichen, dass dem Roboter-Narrativ in der ELL
eine besondere Relevanz zukommt. Der Beitrag schaut abschließend kurz auf
die weitere Thematisierung des Roboter-Motivs in aktuellen Romanen für etwas
ältere Kinder.
Auch wenn es im vorliegenden Beitrag um den Stellenwert des Roboter-Motivs
in der ELL geht, sollen zunächst kurz einige allgemeine diesbezügliche Forschungserkenntnisse und literarische Beispiele vorangestellt werden, da sie
partiell auch für die nachfolgend vorgenommenen Textanalysen zur Kinderliteratur
relevant sind.
Ganz allgemein kann zunächst konstatiert werden, dass „künstliche“ oder
„Maschinen-Menschen“ und die Idee „künstlicher Intelligenz“ Menschen seit der
Antike faszinieren und diese Themen bis heute in etlichen medialen Inszenierungsformen
präsent sind (vgl. Xanke 2012, 36). Ähnlich sieht es hinsichtlich
der Diskurse über die Notwendigkeit einer entsprechenden „Maschinenethik“
aus. Hier geht es um die Frage, Maschinen mit der „Möglichkeit zu moralischem
Entscheiden und Handeln auszustatten [und ob man das tun sollte]“ (ebd., S. 72).
Dies setzt allerdings voraus, dass Maschinen überhaupt „vollumfängliche moralische
Akteure (full ethical agents)“ sein können, die über eine „Willensfreiheit“
nach James H. Moor 2006 verfügen (vgl. ebd.). Denn erst wenn nachgewiesen
ist, dass Maschinen zu moralischem Handeln in der Lage sind, ließe sich sinnvoll
begründen, „in welchen Zusammenhängen sie auch autonome Entscheidungen“
(Brand 2018, S. 32) treffen sollen. Die maschinenethische Frage, „ob eine Maschine
in der Lage ist, in einer konkreten Situation ein Urteil“ nach dem Kantschen
freien autonomen Willen zu fällen“ (ebd.), bleibt in diesem Zusammenhang
bestehen. So könnte auch in der ELL gefragt werden: Entwickeln sich Maschinen
in der Zukunft vielleicht zu bewusstseinsfähigen, moralischen Akteuren mit Bewusstsein?
Wiederholt geht es im literarischen Bereich um die Frage der Bevorzugung
eines künstlichen Wesens gegenüber einem realen Menschen. Hier sei an E. T. A.
Hoffmanns literarische Bearbeitung des Androidenmotivs in der Erzählung Der
Sandmann (1816) erinnert, in welcher sich der Student Nathaniel in einen weiblichen
Automaten verliebt und erst nach der technischen Zerstörung in der Lage
ist, die künstliche Beschaffenheit und nicht-menschliche Existenz von „Olympia“
zu erkennen.
Zu den weiteren Aspekten, denen potenziell Relevanz für die ELL zukommt,
gehören die Metapher vom Roboter als Konkurrenz für die kognitive
Leistungsfähigkeit des Menschen und das pragmatische Verständnis von Robotern
als „menschenähnliche […] Maschinensklave[n]“ (Misselhorn 2018, 7).
Hier kommen antagonistische Deutungsmuster (Mensch vs. Maschine; Freund
vs. Feind) zum Tragen, die nicht neu sind, handelt es sich doch um ein modernes
Phänomen mit einer langen Tradition (vgl. Brand 2018, S. 12). Spätestens seit der industriellen Revolution ist die Maschine zu einem Objekt geworden, das äußerst
ambivalent beurteilt wird:
Die Maschine unterstützt den Menschen, vereinfacht und bereichert sein alltägliches Leben, befreit ihn gar von seinen Defiziten; zugleich erscheint ihre Wirkungsweise undurchsichtig und unheimlich und sie droht den Menschen zu kontrollieren oder zu ersetzen. Sie symbolisiert Fortschritt und Erlösung und gilt doch zugleich als Ursache und Antreiber gesellschaftlicher Konflikte (Thimm und Bächle 2019, 1).
Die „Furcht vor den Auswirkungen der Maschinen“ findet sich sinnbildlich auch
gegenwärtig noch häufig in der Figur des Roboters wieder (vgl. ebd., 22). „Roboter“
stellen eine „bildhafte Manifestation der Maschine im 20. Jahrhundert“
dar und sind die wohl bekannteste rhetorische Figur (hier: pars pro toto), die alle
Maschinen der modernen Lebenswelt repräsentiert (vgl. ebd.). Die großen Ängste,
die durch Maschinen ausgelöst (oder ausgedrückt) werden, sind von Homer
bis zur Gegenwart unvermindert nachgewiesen, obgleich sich die Art und Weise
„der Arbeit wie der Standard der sie jeweils prägenden Technologien merklich,
z.T. völlig verändert haben“ (Drux 2018, 69). Die Maschinenangst ist damit ein
„menschliches Urphänomen, quasi ein Archetypus einer kollektiven Erfahrung“
(ebd.).
Ein völlig anderer Aspekt hingegen wird mit der Frage nach einer möglichen
Figuren- und Situationskomik in den verschiedenen Texten aufgeworfen.
Gängigen „Komik“-Definitionen zufolge wird etwas dann „komisch, wenn es mit
unseren Erwartungen kollidiert [und] wenn es in unseren Augen vom Gewöhnlichen,
vom Gewohnten abweicht […]“ (Horn 1988, S. 18; zit. n. König 2018, 245).
Die spannende Janusköpfigkeit von Roboterwesen herauszustellen, gelingt über
dieses literarische Stilmittel sicherlich am Nachhaltigsten, denn das befreiende
Lachen über das, was uns tatsächlich bedrohen könnte (vgl. auch König 2018,
245), beinhaltet immer auch einen ‚ersten‘ Kern. So wird den Rezipienten damit
angeboten, das Gelesene kritisch-reflektiert und vorsichtig auf die eigene Lebenswirklichkeit
zu beziehen – nicht zuletzt in der aktuellen Erwachsenenliteratur,
wie es die aktuellen Beispiele Frankissstein von Jeannette Winterson (2019) und
Maschinen wie ich von Ian McEwan (2019) zeigen.
Und nicht zuletzt geht es oft um die Beziehungsqualität zwischen Mensch
und Roboter und nicht von ungefähr hat das Thema der inklusiven Freundschaft
eine lange Tradition: Bereits in etlichen Science Fiction-Stories der 1930er und
1940er Jahre konnten sich die Roboter als freundliche Menschenhelfer etablieren und „nahmen einen fast humanoiden Status ein“ (Galle 2017, 47). Aber Roboter
können auch schaden, wie Isaac Asimovs Kurzgeschichte Geliebter Roboter
(1966) zeigt:
So lehnen sich bei Asimov die gefühllosen Androiden gegen den Menschen auf
und kehren die Mensch-Maschinen-Beziehung radikal um: Die Roboter machen
sich zum Herrscher über die Menschen.
Inwieweit sich die hier kurz skizzierten Themen des literarischen Roboter-Motivs in der ELL widerspiegeln bzw. in Bezug auf Kinderromane andere
Akzente gesetzt werden, wird im Folgenden anhand verschiedener Funktionsdimensionen
der Roboterfigur untersucht.
Die Analyse der hier berücksichtigten Texte der ELL lässt sich insgesamt vier Funktionsdimensionen zuordnen.
Abbildung 1: Cover „Mein Freund der Roboter“.
Der Roboter ist in auffällig vielen fiktionalen Erstlesebüchern ein treuer Weggefährte,
ein „großer Freund“ (Zapf, 2013 41) und ein besonders wertvoller anthropomorphisierter
„Retter“ in der Not (vgl. Naoura 2010, 34ff.; Zapf 2013, 31), der
mitunter sogar als Kuscheltierersatz fungiert und für ein „ziemlich großes, glückliches“
Gefühl sorgen kann (Naoura 2008, 47). Eine ganz besondere Freundschaft
stellt die Beziehung zwischen dem menschlichen Protagonisten Tim und dem gigantischen Roboter „Beta“ aus der Roboland-Reihe des Autors Zapf dar:
Beide beschützen sich, vertrauen sich bedingungslos, kümmern sich umeinander
und gelangen bei Problemen ihres Freundes in die jeweils ‚andere‘ Welt (vgl. Zapf
2013, 19ff.). Auf diese Weise wird im literarischen Text vermittels des Brückenbzw.
Eingangsmotivs die Andersartigkeit der beiden Freunde symbolisch überschritten.
Der Schöpfungsakt des Roboters repräsentiert darüber hinaus häufig
eine Art kindlich-kreative Allmachtphantasie, denn oft sind es die Protagonisten
selbst, die – wie in der dreibändigen Herr von Blech von Naoura – als „fantastische[…]
Erfinder“ (Naoura 2007, 4) für die Existenz der Roboter verantwortlich
sind. Das konstruierte Maschinenwesen repräsentiert eine – zumeist selbsterfundene
– Wunschprojektion eines gutmütigen „Hilfsroboter[s]“ (Stehr, 2017, 19),
der die Menschen nicht alleine lässt, den Hauptfiguren hilft, mit ihren Nöten und
Sorgen im Alltag umzugehen oder sie in eine ferne Weltraumwelt führt (ebd.). Die
aus entwicklungspsychologischer Perspektive bekannte Angst vor dem tatsächlichen
(oder so empfundenen) Alleinsein bzw. vor kindlichen Alltagsproblemen
nimmt hier sicherlich eine zentrale Rolle ein. So hat es die Leserschaft dezidiert
mit autonomen sozialen Menschenfreunden zu tun, also mit Robotern, die über
einen anthropomorphisierten Körperplan und menschenähnliche Sinne verfügen
(vgl. Thimm et al. 2019, 111), die für jedes Problem eine Lösung haben oder sogar
vor Mobbingattacken bewahren können (vgl. Naoura, 2008, 24). Allerdings muss
der Homo sapiens seinerseits in einem interaktiven Vertrauensverhältnis auch
die Roboter beschützen (Zapf 2013, 44ff.), da diese nichts von der menschlichen
Welt verstehen. So gerät auch der Roboter trotz seiner beeindruckenden Intelligenz
und seines multidimensionalen Könnens immer wieder schnell in Notlagen,
beispielswiese, wenn – wie bei „Beta“ – die Batterien nicht aufgeladen sind (Zapf
2013, 48ff.) Hierfür braucht es dann die Unterstützung des menschlichen Vertrauten,
für den sich die Hauptfiguren aufopferungsbereit einsetzen.
Mit Blick auf die Vielfalt der literarischen Konstruktion von Robotern in
der Erstleseliteratur nehmen auch die hinterlistigen (‚bösen‘) Roboter eine wichtige
Dimension in der ELL ein. Ein Beispiel hierfür ist die Gesamtausgabe der
Roboland-Reihe (vgl. Abbildung 1).
Über sprachliche Metaphern, wie z.B. „Eisenmonster“ (ebd., 26), wird
bereits auf sprachlich-rhetorischer Ebene eine Dichotomie konstruiert, die die
Welt der Roboter in ein Gut-Böse-Schema einteilt. Bei Zapf gibt es eine Menschen-
und eine Roboterwelt; beide Welten stellen jedoch eine offene sekundäre Welt dar, die jeweils überschritten werden kann. Am Ende
ist Tim, der Protagonist, nach jeder Geschichte wieder zu
Hause bei seiner Mutter, die wiederum die Geschichten als
einen bloßen Erguss seiner „blühende[n]Fantasie“ (ebd., 78)
wahrnimmt. Dem Protagonisten Tim ist es möglich, über
eine Fernbedienung in die Anderswelt namens „Robottera“
zu gelangen, in der er schnell auf ‚gute‘ und ‚böse‘ Roboter
stößt. Die ‚bösen‘ Roboter (die kleinen, bösen „Rexoren“)
sind seine furchterregenden Feinde, denn sie wollen in die
Menschenwelt, um diese zu zerstören – dafür allerdings benötigen
sie den „Toröffner“, also die Fernbedienung von Tim
(ebd., 29). Viele Schwarztöne, aktionsreiche-monoszenische
Bilder nach jedem zweiten bis dritten Satz, hektisch-schwingende
Bewegungen, rhetorische Fragen und Interjektionen
unterstreichen die faszinierende Gefahr, die von diesem oft
stürmisch-gewittrigen und regnerischen Land ausgeht und stimmen auf die literarisch
konstruierte Unheimlichkeit ein, die naht. Es wird in diesem Werk – eher
stereotyp – viel für das Gute gekämpft und der Einzelne muss sich gegen die „fiesen
Roboter“ behaupten (ebd., 21). Die ‚bösen‘ Wesen verstoßen aufgrund ihres
hinterhältigen Agierens dezidiert gegen die fiktionalen Moralprinzipien, ähnlich
wie bei Asimovs Kurzgeschichte Geliebter Roboter (1966). Die Gefühllosigkeit,
Kälte, Berechenbarkeit und Programmierbarkeit der Roboterwesen wird auf
sprachlicher Ebene bei Zapf dadurch akzentuiert, dass die ‚bösen‘ Roboter immer
nur in einem stark abgehakten Staccato-Stil sprechen; so findet sich zumeist
hinter jedem (oder hinter jedem zweiten) Wort ein Interpunktionszeichen, die
die mechanische Robotersprache nachzuahmen intendieren (Zapf 2013, 22). Dass
aber auch „gigantische“ „Eisenmonster“ (ebd., 26) bisweilen Freunde sein können,
erfährt Tim am Beispiel von „Beta“, der zwar „ein rostiger Gigant“ (ebd., 68)
ist, aber trotz seines imponierenden (äußerst einschüchternden) Aussehens einer
von den ‚Guten‘ ist.
Auf diese Weise entwickelt sich eine äußerst vertrauens- und liebevolle
Freundschaft, die auf einer bedingungslosen Hilfs- sowie Aufopferungsbereitschaft
basiert. Sinnbildlich gewendet wird hier exemplifiziert, dass die Frage
nach dem Gut- oder Böse-Sein nicht alleine anhand des oberflächlichen Äußeren
beantwortet werden kann. Die lange Tradition literarischer Freundschaften zwischen Mensch und Maschine stellt somit auch in der ELL eine zentrale Funktionsdimension
dar. Hingegen wird der Roboter als Konkurrenz für die intellektuelle
Kompetenz des Menschen eher (noch) nicht thematisiert.
Abbildung 2: Cover „Herr von Blech“.
Mit dem Stilmittel der Komik arbeitet der Kinderbuchautor Salah Naoura auf
der schriftsprachlichen und bildlichen Ebene besonders ausgiebig. „Herr von
Blech“, der kurioserweise aufgrund eines heftigen Blitzschlages zu einem
lebensecht konstruierten Roboter avanciert ist, erinnert Oma Meier stark an ihren
verlorengegangenen Wecker, doch die übrigen Familienmitglieder versuchen,
die Großmutter davon zu überzeugen, dass das nicht sein kann, denn immerhin
ist aus dem roten Wecker der
Kopf des Roboters geworden,
den das Blechwesen wiederum
so dringend benötigt (Naoura
2007, 44f.; vgl. Abbildung 2).
Die parallel dazu eingewobenen
Illustrationen dienen
in diesem Zusammenhang der
humorvollen Visualisierung
des komischen Aussehens des
Maschinenwesens, das im
Schrifttext detailliert beschrieben
wird (ebd., 4f.). An anderer
Stelle möchte „Herr von
Blech“ zudem auch unbedingt
ein menschliches Herz haben,
denn es „schlägt die ganze
Zeit und wenn man glücklich
ist, dann wird einem ganz
warm ums Herz“ (ebd., 16). Da sein Bauch aber aus einem Toaster gebaut wurde,
kommt Tom auf die Idee, ihm einfach ein Toastbrot in den Bauch zu schieben,
denn so müsste doch auch seinem Freund endlich einmal so richtig wollig-warm
werden (ebd., S. 17ff.). Dies demonstriert den kindlichen Leser*innen in aller Prägnanz, dass auch die intelligentesten Roboter kein organisches „Herz“ bzw.
keine menschlichen „Gefühle“ haben und der „Blechmann“ auch einmal schnell
„in Stücke [gerissen]“ (ebd., 41) werden bzw. einfach, wie ein Toaster, kaputtgehen
gehen könnte. Naoura versteht es, das Roboterwesen in seiner Herr von
Blech-Reihe derart in einem ironischen und überspitzten Unterton zu präsentieren,
dass dieser zwar für allerlei Spaß und Abwechslung sorgt, dennoch aber so
dargestellt wird, dass er keine wirklichen Vorteile mit sich bringt, im Gegenteil:
Man muss auf den „süßen“ Roboter (vgl. B II, 12) aufpassen, ihm viel erklären,
er benötigt eigene Einrichtungen (vgl. B II, 6) und es werden für ihn Bestandteile
benötigt, die sich Tom erst von seiner Verwandtschaft stibitzen muss. Der
Roboter stellt daher insbesondere bei Nahoura ein niedliches, aber allzu naives
‚Wesen‘ dar, das nicht so recht weiß, wofür man in die Schule geht („‚Schule?‘
[…] ‚Was ist denn das?‘“; B I, 23), kein organisches Herz hat, erst einmal lernen
muss, was Gefühle sind (Naoura 2008, 28), nichts mit Geld anfangen kann (Naoura
2010, 14), sehr viele Trotzphasen hat („Ich WILL“, ebd., 17) und sich darüber
hinaus auch noch immer wieder völlig unverhofft verliebt (ebd., 46f.). Über das
literarische Stilmittel der Ironie werden demzufolge bei Naoura, neben allen positiven
Momenten der Nähe und Freundschaft, auch die möglichen ‚unbequemen
Schattenseiten‘ eines Roboterwesens nicht vernachlässigt und es wird vermittels
der literarischen Handlungskonstruktion gleichsam veranschaulicht, dass nicht
alles, was mit Robotern zu tun hat, zu idealisieren ist, denn helfen können diese
konstruieren Wesen auch nicht immer; im Gegenteil: Oft bereiten sie sogar größere
oder kleinere Probleme.
In dem Buch von Michael Petrowitz (2018, Mein Onkel, der Roboter) nimmt
die humorvolle Komponente mit Blick auf das ‚Anderssein‘ des Roboters ebenfalls
eine wichtige Bedeutung ein. Der Ich-Erzähler erfährt, dass sein Klassenkamerad
Nik einen technisch hoch entwickelten „Roboter mit menschlichem
Aussehen“ (ebd.,18; vgl. Abbildung 3) gebaut hat, der so täuschend echt ist, dass
er sogar von seinem Mathelehrer, der eigentlich ein Gespräch mit seiner Mutter
führen möchte, für Jonas Onkel gehalten wird (ebd., 32ff.).
Die Figur des Lehrers wird damit auf eine ironische Weise in seiner problematischen
Engstirnigkeit entlarvt, indem er seine Grundprinzipien und Vorurteile
so ernst nimmt, dass er sich von einem technischen Gerät an der Nase
herumführen lässt und offenbar mit einem ‚künstlichen‘ Wesen besser zurechtkommt
als mit einem ‚echten‘ Menschen (ebd., 36). „Herr Botti“ wiederum hat signifikante Vorteile, die Jonas
für sich nutzt, denn im
Kopfrechnen ist er zum Beispiel
sehr gut. Er beeindruckt
den Lehrer so sehr, dass er
von ihm zu einem Sportfest
eingeladen wird, bei dem der
vorprogrammierte Maschinenmensch
dann auch um einiges
fitter ist als alle anderen
(ebd., 41f.).
So „menschlich“ (und
menschlich gekleidet) ein humanoides
Roboterwesen aber
auch letzten Endes ist, in der
alltäglichen Interaktion und
Kommunikation mit Menschen
bleibt er bei Petrowitz
ein technisches Gerät, das nicht individuell und völlig spontan auf Äußerungen
anderer Personen reagieren kann, sondern immer nur nach einem bestimmten
Muster vorprogrammiert ist – auch wenn der Protagonist Jonas im Werk Mein
Onkel, der Roboter bisweilen völlig vergisst, dass sein ‚Kumpel‘ bloß eine „Maschine“
(ebd., 28) ist.
Abbildung 3: Cover „Mein Onkel der Roboter“.
Als „Botti“ aus dem Erstlesebuch Mein Onkel, der Roboter ein Schluck Wasser
angeboten wird und er aus einem Glas trinkt, zerfällt der einstige „Supermann“
(Petrowitz 2018, 46) in seine Bestandteile, sodass ihn am Ende sein menschenähnliches
Aussehen ins Verderben stürzt. Damit wird deutlich, dass der Roboter
zwar für den Moment (hier im Augenblick des Elterngesprächs in der Schule)
kurzfristig eine kreative und wichtige Hilfe für das Kind sein kann, dass allerdings
keine längerfristigen positiven Auswirkungen von diesem mechanischen
Wesen zu erwarten ist und der Versuch, aus einem technischen Gerät einen
‚richtigen‘ Menschen zu machen, zwangsläufig scheitern muss – spätestens mitBlick auf die menschlichen Grundbedürfnisse Essen und Trinken. Über die Konstruktion
von Maschinenmenschen können junge Heranwachsende zur Reflexion
darüber angeregt werden, was ‚wirkliche‘ Menschen auszeichnet, was sie so
besonders macht und warum Roboter zwar (fast) perfekt zu programmieren sind,
dennoch aber letzten Endes keine Menschen mit einem ‚echten‘ organischen Herz
sind: „‚Aber Roboter haben kein Herz!‘“ (Naoura 2007, 17) So grenzen sich die
Protagonisten auch mitunter ganz bewusst von ihrem maschinenhaften Gegenüber
ab („Ich bin doch kein Roboter“; Petrowitz 2018, 4), wenn sie das Gefühl
haben, nicht in ihrer spezifisch menschlichen Eigenart wahrgenommen zu werden,
und wehren sich gegen ihr vermeintliches Roboterwesen: „Damit erst mal
eins klar ist: Roboter sind dazu da, Befehle auszuführen. Aber Schüler?“ (ebd., 3)
Die kindlichen Rezipient*innen werden schlussendlich mit dem Roboter-Text von Petrowitz zu einer literarischen Anschlusskommunikation darüber
angeregt, was die Vor- und Nachteile von Robotern gegenüber menschlichen Wesen
sind (und sein müssen). Hiermit gehen wichtige existentielle und philosophische
Grundfragen einher: „Was ist der Mensch?“ „Wo kommt er her?“, „Wofür
lebt er?“ und „Was unterscheidet ihn von tierischen Wesen und technischen Produktionen?“
Diese komplexen Fragen sind auch aus fachübergreifender didaktischer
Perspektive sehr interessant. Darüber hinaus veranschaulichen sie, dass
die vermeintlich allzu ‚simple‘ Erstleseliteratur es durchaus versteht, kritische
Grundsatzfragen über die menschliche Welt anzustreben. Diese Aspekte interessieren
auch kleinere Kinder in der Regel schon sehr, beispielsweise mit Blick auf
eine Metareflexion über diejenigen Fähigkeiten, „von denen sehr umstritten ist,
ob sie Maschinen zukommen können, die aber in traditionellen Ansätzen der philosophischen
Ethik eine besondere Bedeutung einnehmen: „Denken, Bewusstsein
und Emotionen“ (Misselhorn 2018, 29).
Zumindest regen literarische Werke dazu an, über mögliche zukünftige Folgen
‚überlegener Intelligenzen‘ zu reflektieren, wenn über künstliche neuronale
Netzwerke plötzlich eine Modellierung bzw. Implementierung emotionaler Zustände
möglich ist und die Roboter als individuelle Persönlichkeit mit eigenen Gefühlen,
Gedanken, Vorstellungen und Wertehaltungen agieren. In dieser Hinsicht
hat die fiktionale Literatur den beeindruckenden technologischen Fortschritten
einiges voraus, denn hier sind Roboter schon lange individuelle Persönlichkeiten,
die nach einem eigenen Willen agieren, tiefgreifende Emotionen verspüren
und sich aus ihrem reinen passiven Dienstleisterzwang aktiv befreien. Die „reale Geschichte der Autonomie von Automaten“ muss allerdings erst noch beginnen,
während im Bereich der fiktionalen Literatur vermehrt die Frage im Mittelpunkt
steht, „welche Rolle die fiktiven Roboter noch spielen können, um neue und produktive
Rezeptions- und Denkprozesse anzustoßen“ (Neuhaus 2014, 171).
Abbildung 4: „Pepe und der Pups-Roboter“.
Auch wenn im Erstlesebuch Pepe und der Pups-Roboter von Jesko Habert (2016;
vgl. Abbildung 4) erneut eher stereotyp und vom literarischen Narrativ her stark
klischeehaft ein männlicher Protagonist im Fokus der Geschichte steht, unterscheidet
sich dieses Werk deutlich von gängigen Handlungsmustern mit Blick auf
die Menschen-Roboter-Beziehung.
Dem literarischen Motiv wird hier eine innovative Ebene verliehen, denn
es geht in diesem Buch insbesondere um die „negativen Folgen unserer Fortbewegungsgewohnheiten
und wie man daran etwas ändern kann“ (ebd., Buchrückenseite).
Der stark moralisierende Zeigefinger wird jedoch
nicht direkt erhoben und es obliegt der jungen Leserschaft, die
parabelhafte Geschichte auf eigene empirisch verankerte Lebenswirklichkeiten
zu beziehen und konkrete Schlussfolgerungen
für moderne Lebensumstände zu ziehen.
Pepes Eltern haben sich getrennt und der Junge ist abwechselnd
am Wochenende bei seiner Mutter und seinem Vater. Die
Hauptfigur scheint damit aber kein Problem zu haben, denn Pepe
hat „beide gleich lieb“ (ebd., 7) und genießt die abwechslungsreichen
Möglichkeiten, seine Wochenenden an unterschiedlichen
Orten zu verbringen. Während seine Mutter eine ausgezeichnete
Geschichtenerzählerin ist („Immer hatte sie etwas Spannendes
zu erzählen“; ebd., 7) und bereits hier auf einer Metaebene damit
gespielt wird, ob die Geschichte, die Pepe erlebt, nicht (bloß)
eine erfundene Erzählung ist, geht er mit seinem Vater regelmäßig in die Natur
und genießt die gemeinsamen Spaziergänge. Häufig sind die Aufenthalte in der
Natur sehr ausgiebig und sein Vater nimmt ihn auf die Schulter, wenn er nicht
mehr laufen kann. Als der Vater jedoch starke Rückenprobleme bekommt, erklärt
er Pepe, dass das Schultertragen nun nicht mehr möglich ist. Der symbolischen Märchenzahl ‚drei‘ gemäß klagt und jammert der Junge jedoch bei jedem Spaziergang
erneut, dass er nicht mehr laufen kann. Jedes Mal bekommt er einen
derartigen Wutausbrauch, dass „die Fische vor Schreck aus dem Wasser spr[i]ngen
(ebd., 13), „die streunenden Hunde darunter vor Schreck ins Wasser spr[i]ngen“
(ebd., 15) oder die „Vögel vor Schreck vom Himmel f[al]len“ (ebd., 16) – allesamt
sinnbildliche Wendungen aus dem Bereich der Natur, die den immensen Zorn von
Kindern gerade in der entwicklungspsychologisch interessanten „Trotzphase“ in
zugespitzter Manier nachzeichnen. Nachdem Pepe dann wieder eine Woche bei
seiner Mutter verbracht hat und dort allerlei „Geschichten“ und „Märchen“ genießen
konnte, befindet er sich wieder bei seinem Vater und nach einer metatextuellen
Anspielung („Niemand konnte so gut erzählen wie seine Mutter“; ebd.,
19) beginnt gewissermaßen das ‚Märchen im Märchen‘, mithin also die Fiktion
in der Fiktion: Sein Vater hat eine ganz besondere Überraschung für ihn, die
das Problem lösen soll, dass sein Sohn nicht so lange laufen kann (oder will):
„ein funkelndes, silbernes Ding, das fast so groß war wie sein Papa“ (ebd., 22).
Der von seinem Vater selbst konstruierte praktische Service-Roboter soll Pepe
tragen, wenn die Beine mal wieder wehtun oder die Faulheit siegt. Doch die Geschichte
nimmt ihren Lauf. Dreimal gehen sie aus dem Haus und jedes Mal wird
der Weg, den Pepe laufen kann oder will, um einiges kürzer. Aber nicht nur das:
Aus dem Hinterteil der Maschine schweben „kleine graue Wolke[n]“ (ebd., 27)
und diese klingen beim Ausblasen so, als würde jemand ‚pupsen‘ – daher nennt
Pepe seinen Roboter auch ganz amüsiert den „Pups-Roboter“ (ebd., 27). Die stinkenden
Wolken vermehren sich allerdings sehr schnell, der Gestank wird immer
unerträglicher und das Knirschen der Kettenräder immer lauter – vor allem, als
dann auch noch viele andere Kinder auf die Idee kommen, von einer komfortablen
silbernen „Spazier-Maschine“ (ebd., 35) herumgeführt zu werden. Auf bildlicher
Ebene wird der Naturwandel mit Hilfe von Braun-, Schwarz- und Grautönen
akzentuiert und die Illustrationen tragen daher zur ‚Unheilverkündung‘ der Maschine
dezidiert bei.
Aus einem anfänglichen Stolz wird dann im Laufe der Geschichte bei Pepe
eine immer größer werdende Irritation wegen des fürchterlichen Gestanks und er
fragt seinen Vater, warum die Sonne nicht mehr scheint, denn über der ganzen
Stadt hängt nur noch eine „dicke Pups-Wolke“ (ebd., 35). Alles wird „matt“ und
„grau“ und „selbst die Wiese im kleinen Park war ganz schmutzig“ (ebd., 37).
Auf den Spielplätzen ist niemand mehr zu finden und die Kinder werden immer korpulenter. Pepe will irgendwann die schöne naturbezogene Vergangenheit zurückhaben
und holt sinnbildlich gewendet auf eigene Faust die Sonne wieder: Die
Hauptfigur legt seinen Roboter ab, zeigt den Kindern den schönen Spielplatz und
alle nutzen den Roboter irgendwann nur noch zum spielerischen Herumklettern
(ebd., 40): „Immer mehr Kinder stellten ihre Maschinen zum alten Klettergerüst
dazu. / So machte das Klettern immer größeren Spaß“ (ebd., 43). Am Ende strahlt
die Sonne dann wieder und der Fluss „glitzert […] wie früher. / Selbst die Lilien
leucht[en] wieder in herrlichstem Weiß“ (ebd.). Die verschmutzte Lilie, die als
Leitmotiv immer wiederkehrt und schon zu Beginn auf dem Vorsatzpapier eine
antizipierende Bedeutungsdimension einnimmt, ist eine Blume mit einer traditionsreichen
Symbolik. Sie verkörpert Liebe, Reinheit, Weisheit und Unschuld,
die hier vom „Pups-Roboter“ verunreinigt wird; sie steht allerdings auch für
Hoffnung und Licht sowie als „Totenblume“ für Trauer, Tod und Vergänglichkeit.
Wenn es auf der darauffolgenden Seite heißt „‚Und das ist das Ende der Geschichte‘“
(ebd., 44), dann wird auf einer Metaebene im rezeptionsästhetischen Sinne
eine Leer- und Unbestimmtheitsstelle konstruiert, denn ob die „Geschichte“ eine
‚bloße‘ Erfindung des Jungen ist, der durch den literarischen Erfindungsgeist seiner
Mutter inspiriert wurde (also eine fiktive Binnengeschichte innerhalb einer
Rahmenfiktion), bleibt den Rezipient*innen selbst überlassen. Die Anspielungen
darauf werden jedoch noch einmal verstärkt, wenn Pepe seine Mutter fragt: „‚Erzählst
du mir jetzt noch eine erfundene Geschichte‘“ (ebd.; Hervorhebung von
N.J.S.)?
Das Motiv des Roboters wird in diesem literarischen Werk für Leseanfänger*
innen mit Blick auf das Thema der Selbstentfremdung umgedeutet. Während
Roboter noch insbesondere in den 1970er Jahren als „futuristische Figuren aus
Science Fiction Romanen angesehen“ wurden und bis heute mitunter noch prominent
als „Metaphern des technischen Fortschritts“ eingesetzt werden, hat sich
dies in Texten wie diesem „kategorial verändert“ (Thimm und Bächle 2019, 23).
Die zunächst erwünschte und hochgelobte Maschine ist kein Freund des Menschen
mehr, sondern wird in ihrer unauflösbaren Ambivalenz am Ende zu dessen
genuinen Feind.
Die Sorgen davor, dass Maschinen die Menschen ersetzen könnten und die
autonome Technologie bei zunehmender Intensität nur noch als „stereotype[s]
Muster der Bedrohung“ (Neuhaus 2017, 171) der Welt durch vielfach überlegene
künstliche Intelligenzen wahrgenommen wird, spielt in dem Erstlesebuch von Habert (2018) eine große Rolle, denn zwischen Technikfurcht und Technikenthusiasmus
bewegen sich auch die Emotionen der literarischen Hauptfigur. Von der
großen und stinkenden Maschine geht zunächst ein offenkundiges Heilsversprechen
aus, das eine große Erleichterung im Alltag verspricht. Doch was zunächst
wie eine wundersame Erfindung klingt, entpuppt sich bei längerer Nutzung als
ein umweltverschmutzendes, lautes und sehr lästiges Gerät, das nicht nur dem
Klima schadet, sondern auch der eigenen körperlichen Fitness nicht besonders
zuträglich ist. Dass es sich hierbei um ein rezentes Thema handelt, das die aktuelle
Lebenswirklichkeit der Kinder unmittelbar betrifft, wird mit Blick auf den
gegenwärtigen Klima-Diskurs besonders deutlich.
Abbildung 5: Cover „Roboter Sam“.
Ein kurzer Blick auf gegenwärtige Kinderromane für leseerfahrenere Kinder ab
ca. 8 Jahren zeigen, dass die inklusiven Freundschaftsgeschichten zwischen dem
anthropomorphisierten Roboter und dem Homo Sapiens erhalten bleiben, aber
auch darüber hinausgehen. Es findet sich hier eine Art von robotoider Implementierung
von Emotionen mitsamt einer Ich-Perspektivierung des Roboters. Das
Spektrum der einschlägigen aktuellen Kinderromane zeigt die (inklusionssensible)
Einübung von Empathiefähigkeit und alteritätserfahrendes Fremdverstehen.
Besonders deutlich wird dies in Frauke Nahrgangs Roboter Sam-Geschichte aus
dem Jahre 2017 (vgl. Abbildung 5).
Das Potential der Literatur, narrativen Figuren eigene Erzählstimmen zu
verleihen, die in der empirisch fassbaren Welt in diesem Maße niemals zu Wort
gekommen wären, wird hier vollends für das Phänomen der Perspektivenübernahme
ausgeschöpft. Die Literatur für leseerfahrene Grundschulkinder greift die
oben skizzierten Funktionsdimensionen des Roboter-Motivs in der ELL partiell
auf, differenziert sie aber oft in erstaunlicher Weise.
So handeln in aktuellen Kinderromanen die Menschenmaschinen in der Regel
nach Asimovs fiktionalen Grundprinzipien und beweisen damit, dass sie vollwertige
moralische Akteure sind. Neben der bereits genannten Roboter Sam-Geschichte
(Nahrgang 2017), sind es literarische Protagonisten wie der Roboter
„Orbi“ im Werk von Thomas Christos (2011, 2014), die Roboter in der Detektivreihe
F.B.I. junior von Fabian Lenk (2019a, 2019b) sowie die Roboter Roki-Reihe von Angelika Niestrah und Andreas
Hüging (2018, 2019), die zahlreiche
und erstaunliche Anstöße für Kinder
geben, sich mit moralisch-ethischen
Themen und letztlich mit der
Frage nach dem Menschsein zu befassen.
Zukünftige Forschung sollte
das literarische Motiv des Roboters
in Kinderromanen nicht nur aus literaturwissenschaftlicher
Perspektive,
sondern auch mit Bezug auf
literaturdidaktische Implikationen
in den Blick nehmen, um bislang oft
noch zu stereotype und klischeehafte
Darstellungen zu überwinden.
Resümierend betrachtet ist zu
konstatieren, dass das Roboter-Motiv
häufig ohne eine dezidiert kritisch-reflektierte Perspektive in die
sogenannte „Erstleseliteratur“ bzw.
in Kinderromane integriert wird.
Ausnahmen davon deuten sich allerdings
an. So gilt aktuell: Nicht nur
in Erstlesebüchern, sondern auch in
Romanen für Kinder ab ca. 8 Jahren wird häufig noch weithin unreflektiert eine
spezifische Roboter-Mensch-Beziehung konstruiert, die zu einer eskapistischen,
träumerisch-weltfremden und identifikatorischen Lektüre veranlasst und nur in
wenigen Fällen kritisch-existentielle Fragen provoziert. Wenn diese allerdings
in den Fokus geraten, dann sind sie mit Blick auf grundlegende menschliche
Daseinsfragen von besonderer didaktischer Relevanz und für den schulischen
Kontext des „literarischen Lernens“ (vgl. Spinner 2006) von nicht zu unterschätzender
Bedeutung. Zukünftige Forschung hierzu erscheint mehr als lohnenswert.
[1] Siehe hierzu etwa die neue Reihe im Oetinger-Verlag (Lesestarter).
[2] Im Folgenden wird im Text das Kürzel ELL für die Kategorie Erstleseliteratur genutzt.
[3] Der Bereich der Sachtexte für Erstleser*innen wird hier dezidiert nicht berücksichtigt, da er ein eigener Forschungsgegenstand wäre.
[4] Christos (2011, 12)
Christos, Thomas (2011). Orbis Abenteuer – Ein kleiner Roboter büxt aus. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Christos, Thomas (2014). Orbis Abenteuer – Ein kleiner Roboter lässt es scheppern. Frankfurt a. M.: S. Fischer.
Habert, Jesko, Becker, Timo (Illustration) (2016). Pepe und der Pups-Roboter. Potsdam: Willegoos.
Lenk, Fabian (2019a). F.B.I. Junior. Raubende Roboter. Bd. 1. Stuttgart: Planet! / Thienemann-Esslinger-Verlag.
Lenk, Fabian (2019b). F.B.I. Junior. Raubende Roboter. Bd. 2. Stuttgart: Planet! / Thienemann-Esslinger-Verlag.
Nahrgang, Frauke (2017). Roboter Sam, der beste Freund der Welt (Mit farbigen Illustrationen von Markus Spang.) Ravensburg: Ravensburger Buchverlag.
Naoura, Salah (2007). Herr von Blech zieht ein. Mit Bildern von Michael Bayer. Mannheim: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG (Duden Lesedetektive).
Naoura, Salah (2008). Herr von Blech geht zur Schule. Mit Bildern von Michael Bayer. Mannheim: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG (Duden Lesedetektive).
Naoura, Salah (2010). Herr von Blech ist verliebt. Mit Bildern von Michael Bayer. Mannheim: Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG (Duden Lesedetektive).
Niestrath, Angelika, Hüging, Andreas (2018). Roki. Mein Freund mit Herz und Schraube. München: cbj.
Niestrath, Angelika, Hüging, Andreas (2019). Roki. Kuddelmuddel im Klassenzimmer. München: cbj.
Petrowitz, Michael, Beck, Benedikt (Illustration) (2018). Mein Onkel, der Roboter. Ravensburg: Ravensburger Buchverlag.
Stehr, Sabine (2017). Lennart, Titus und die Reise zum Mars (mit Bildern von Sandra Reckers). 2. Aufl. Frankfurt a.M. (1. Aufl.: 2015): S. Fischer (Fischer Duden Kinderbuch).
Zapf (2013). Mein Freund, der Roboter (Illustriert vom Autor). Bindlach: Loewe. [Enthält die drei Werke: Mein Freund aus dem Roboland, 2013; „Notruf aus dem Roboland“, 2014 und „Das Tor zum Roboland“, 2015].
Asimov, Isaac (2007). Alle Roboter-Geschichten. Bergisch-Gladbach: Bastei Verlag Lübbe.
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Nadine Jessica Schmidt, geb. 1982, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Literaturdidaktik an der Universität Siegen. Sie promovierte im Jahre 2013 mit einem Dissertationsthema zur „Konstruktion von Authentizität in autobiographischen Erzähltexten“. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen: Kinder- und Jugendliteratur (v.a. auch Erstleseliteratur), literarische Sozialisation und literarisches Lernen.
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