denkste: puppe / just a bit of: doll | Bd.3 Nr.1.2 (2020) | Rubrik: Fokus
Sarah Reininghaus
Focus: Puppen/dolls like mensch – Puppen als künstliche Menschen
Focus: Dolls/puppets like mensch – dolls/puppets as artificial beings
Abstract:
Seit der Entstehung des Mediums Film werden Puppen verwendet. Insbesondere
im Horrorfilm dienen Puppen von jeher der Erzeugung von Unheimlichkeit. Der
vorliegende Beitrag vergleicht die Chucky- und Annabelle-Filmreihen als prominente
Vertreter zweier beliebter und erfolgreicher Franchises. In beiden Produktionsreihen
wird die Ausgestaltung der Figur der Puppe fokussiert und der von ihr ausgehende Horror
im jeweiligen Franchiseuniversum unter besonderer Berücksichtigung vorherrschender
gesellschaftlicher Ängste untersucht. Geht es bei Chucky vor allem um den Wandel des
Franchises innerhalb der letzten 30 Jahre zwischen Erstling und Fertigstellung des aktuellen
Reboots und um mögliche Gründe für Wiedererstarken und Aktualität, steht bei der
Analyse der ersten beiden Teile der Annabelle-Reihe die Auseinandersetzung mit der Entstehung
eines neueren Franchises im Mittelpunkt, das Horror mittels einer Puppen zu erzeugen
versucht. Der Vergleich dieser beiden Filme aus den Jahren 2013 und 2014 mit dem
Chucky-Reboot aus dem Jahr 2019 untersucht Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den
von Puppen ausgelösten Horrorszenarien in erfolgreichen aktuellen Filmproduktionen.
Schlagworte: Horror; Horrorfilm; das Unheimliche; künstliche Menschen; Chucky – Die Mörderpuppe; Annabelle; Genrefilm
Zitationsvorschlag: Reininghaus, S. Von Annabelle Und Chucky – Puppen Als Ambigue Vertreter*Innen künstlicher Menschen in Rezenten Horrorfilmen. de:do 2020, 3, 79-88. DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/5623
Copyright: Sarah Reininghaus. Dieses Werk steht unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International. (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de).
DOI: http://dx.doi.org/10.25819/ubsi/5623
Veröffentlicht am: 20.10.2020
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Die Puppe ist eine der langlebigsten Figuren im Genre des Horrors1. Belebt
oder auch unbelebt bevölkern kostbare Puppen, Bauchredner*Innen-Puppen,
aber auch Kinderspielzeugpuppen wie in den Puppet Master-
oder Demonic Toys-Reihen sowie Voodoo- oder andere Ritualpuppen den
Horrorfilm beinahe seit der Entstehung des Mediums Film (vgl. für einen historischen
Überblick: Seeßlen u. Jung 2006; Bayrak u. Reininghaus 2014). Ihre beängstigende
Wirkung auf Menschen erklärt sich laut Ernst Jentsch (1906) durch
deren Unsicherheit bezüglich des Belebtheitsgrades von Puppen. Auch wenn dieser
Irrglaube typisch für die Kindheit ist, haftet der Puppe im Kindesalter zumeist
noch nichts Unheimliches an, denn die Puppe wird als lebendiges Gegenüber
oder Freund*In betrachtet (Freud 1919/1963). Im Erwachsenenalter kann allerdings
wider besseren Wissens die scheinbar begründete Annahme der Belebtheit
einer Puppe eine grundlegende Verunsicherung der Menschen auslösen, erinnert
sie diese doch an etwas überwunden Geglaubtes. Sie reicht nach Sigmund Freud
damit an den Kern des Unheimlichen, das nicht, wie vielleicht vermutet werden
könnte, das gänzlich Fremde ist, sondern sich immer als ein bekannt Vorausgesetztes
darstellt, das sich anders als erwartet verhält, obgleich man es für vertraut
hielt (ebd.). Im Fall einer solchen unerwarteten Belebtheit gehört eine belebt
erscheinende Puppe in die Gruppe der anderen künstlichen Menschen, so wie
beispielsweise Alraunen, Homunculi, Golems, Maschinenmenschen, Klone oder
Cyborgs. Und ebenso wie Horrorfilme stets Auskunft geben über die Ängste,
Identitätsbedrohungen und Traumata einer Gesellschaft in einer bestimmten Zeitepoche,
so gilt das auch für die Art und Weise der künstlerischen Ausgestaltung
von künstlichen Menschen, für ihre Entstehungsgeschichte und für die von ihnen
ausgehenden Bedrohungen (vgl. Wood 1979; Lowenstein 2005).
Die Verwendung der Puppe erfolgte seit den frühen Jahren des Mediums
Film in Wellen und unterliegt dabei allgemeinen Trends und grundlegenden
Veränderungen des Genres (vgl. Bayrak u. Reininghaus 2014). Dabei tauchen
Puppen seit 2013 wieder vermehrt im populären Horrorfilm auf, vor allem im
erfolgreichen US-Horrorfilm, für den in den vergangenen Jahren ein eindeutiger
Puppentrend auszumachen ist. Die Bandbreite der Filme ist groß. Sie erstreckt sich vom eher klassisch angelegten Horrorfilm The Boy (The Boy, USA, 2016,
William Brent Bell), in dem es zentral um Puppen als Kinderersatz geht, bis
hin zum Mindgame-Psychothriller Ghostland (Ghostland, Frankreich / Kanada,
2018, Pascal Laugier) mit graphischer Gewaltdarstellung, in dessen Handlungsverlauf
die Figur der Puppe eher beiläufig genutzt wird und junge Frauen von
psychopathischen Tätern vor ihrer Tortur als Puppen zurecht gemacht werden.
Auch Horror-Serien wie etwa die Anthologie American Horror Story entwickeln
einzelne Handlungsstränge rund um Puppen, so etwa in der Season 4 mit dem
Titel Freak Show (American Horror Story: Freak Show, USA, 2014), in der es um
das gestörte Verhältnis eines Bauchredners zu seiner Puppe geht. In der siebenteiligen
True-Crime-Dokumentation The Keepers (The Keepers, USA, 2017)
wiederum wird durch die repetitive Inszenierung einer Schaufenster-Puppe
mit Nonnen-Kostüm atmosphärischer Grusel geschaffen, während in der dritten
Season der Thriller-Serie True Detective (True Deetctive, USA, 2019) traditionell
gesichtslose amerikanische corn husk dolls2 helfen, den Weg zum Fundort einer
Kinderleiche aufzuzeigen.
Abbildung 1: Annabelle Film doll
Die populärste Nutzung des Puppenmotivs betreibt aktuell zweifelsohne das Franchise-Conjuring-Universum3. Benutzt James Wans The Conjuring (Conjuring –
Die Heimsuchung, USA, 2013, James Wan) mit der am Rande vorkommenden
Annabelle noch eine Puppe, um einer atmosphärischen, aber ansonsten konventionellen
Dämonen-/‚Haunted‘-House-Story eine zusätzlich unheimliche
Rahmengeschichte hinzuzufügen, so präsentiert dessen Nachfolger Annabelle
(Annabelle, USA, 2014, John R. Leonetti) ein Jahr später dieselbe Puppe bereits als Protagonistin einer Mordserie
in den 1970er Jahren. Das Prequel
Annabelle: Creation (Annabelle 2,
USA, 2017, David F. Sandberg) folgt
weitere drei Jahre später und erzählt
die Hintergründe der Genese der Puppe
in den 1940er und 1950er Jahren.
Annabelle Comes Home (Annabelle 3,
USA, 2019, Gary Dauberman) hingegen,
der bis dato letzte Film der
Annabelle-Reihe, schließt auf seiner
Handlungsebene direkt an die Geschehnisse
von The Conjuring an und
handelt von dem weiterhin grauenhaften
Wirken Annabelles, auch nachdem
sie als ‚böse‘ entlarvt wurde
(vgl. Abbildung 1).
Neben der Box-Office-Erfolgsserie
rund um Annabelle soll insbesondere
das 2019er-Reboot4 Child’s
Play (Child’s Play, USA, 2019, Lars
Klevberg) der in den späten 1980er
Jahren einsetzenden Kultfilm-Reihe
rund um die Spielzeugpuppe
Chucky im Folgenden näher betrachtet
werden. Diese Reihe nahm noch in den 1980er Jahren mit Child’s Play
(Chucky – Die Mörderpuppe, USA, 1988, Tom Holland) ihren Anfang und zog
seitdem sieben weitere Filme5 nach sich vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2: Chucky doll
Zu beiden Puppen gibt es mittlerweile unüberschaubare Mengen an Merchandise6
sowie einen starken Wandel des Geschäftsmodells (Franchise) in den vergangenen
30 Jahren. Beide Puppen sind
höchst bekannt und populär, eingebettet
in das Phänomen ‚Fandom‘.
Ziel der hier vorgelegten Analyse
ist es, zwei aufgrund der Popularität
ihrer Franchises ausgewählte Film-Reihen
zu vergleichen. Dabei wird
es bei den Chucky-Filmen vor allem
um den zuletzt erschienenen Teil der
Reihe gehen, da hier ein ausgeprägter
Wandel des Franchises zu beobachten
ist. Hingegen werden im Fall der Puppe
Annabelle vor allem die ersten beiden
Filme berücksichtigt, da sie sehr
grundlegend die Entwicklung dieser
Figurengestaltung prägten. Mit den Annabelle-Filmen wird also die Entstehung
des Franchises fokussiert, mit den Chucky-Filmen kann das Wiedererstarken
analysiert werden. Letztlich geht es um einen Vergleich der Entwürfe des von
Puppen ausgelösten Horrors.
Mit den hier genannten Vertretern werden dabei rezente Filme berücksichtigt,
in denen Puppen verstärkt eine zentrale Rolle einnehmen und zur Verstärkung
des Horrorgeschehens beitragen. Ohnehin können Puppen in den letzten
Jahren sowohl als Staffage im Genre des Horrorfilms zuhauf beobachtet werden als
auch überhaupt als Kulisse für jegliches Gruselgeschehen oder Halloweensettings.
In ihnen sorgen Puppen in der Regel nur für die „passende“ Atmosphäre und kündigen
andere, noch bevorstehende Schrecken an, dienen aber nicht der Fortentwicklung
der Haupthandlung.7 Die Puppe fungiert hier zumeist nur als erstarrte Requisite im Repertoire des Horrors, die von den meisten Zuschauer*Innen gelesen
und gedeutet werden kann. Damit zählt sie zur festen Ikonografie des Horrors.
Auch wenn den Mainstream-Horrorfilm-Produktionen oft vorgeworfen
wird, Serialität und Konformität zu bedienen, soll hier gezeigt werden, dass die
jüngsten Vertreter des Puppenhorrors im Hinblick auf die Erzeugung von Horror
durch ihre puppenhaften Protaginist*Innen kaum unterschiedlicher gelagert sein
könnten. Zwar wird in beiden Horrorpuppen-Entwürfen im Zentrum der jeweiligen
Handlung eine Puppe platziert und in beiden Fällen geht von diesen Puppen
eine lebensgefährliche Bedrohung aus, die von den betroffenen Menschen
zunächst nicht ernstgenommen wird. Hinsichtlich der Funktionsweisen der eingesetzten
Puppenfiguren und der Ausgestaltung ihres Puppenhorrors unterscheiden
sich beide Ansätze aber grundlegend. Daher fokussiert die folgende Analyse
die Darstellungen der Puppen in The Conjuring, Annabelle und Child’s Play vor
dem Hintergrund der sie umgebenden Gesellschaft. Ein besonderer Schwerpunkt
wird darauf liegen herauszuarbeiten, wie diese beiden Puppen als paradigmatische
Beispiele für künstliche, „böse Menschen“, die unter Menschen leben und
diesen Schaden zufügen, aufbereitet werden. Dabei wird auch ihre Entstehungsgeschichte
betrachtet, denn in der Kulturgeschichte gibt es eine lange Tradition
von künstlichen Menschen mit schädigenden Eigenschaften für die lebenden
Menschen. Erinnert sei hier beispielsweise an Ovids Metamorphosen, in denen
beschrieben wird, wie es einer weiblichen Elfenbeinstatue gelingt, das Herz ihres
Erschaffers und Künstlers Pygmalion zu erobern und ihn damit verzweifeln lässt.
Aber auch andere künstliche Figuren (Alraunen, die jüdisch mystische Figur des
Golem, Viktor Frankensteins Kreatur) entgleiten (partiell) ihren Erschaffern und
richten Böses und Zerstörung an (vgl. hierzu Drux 1999).
Abbildung 3: Annabelle Warren doll
Eine Puppe namens Annabelle, um die sich Erzählungen mysteriöser Geschehnisse
ranken (vgl. Alexander 2017), die auch von dem real existierenden Dämonologen-Ehepaar Warren aus den USA dokumentiert wurden, gab es tatsächlich.
Wie in der Filmreihe ersichtlich wird, wurde Annabelle im Privathaus und Museum
der Warrens in Connecticut aufbewahrt und konnte dort bis 2018 von Besucher*
Innen besichtigt werden (vgl. Abbildung 3).
Nachdem im Jahr 2018 Streitigkeiten um das Gelände zur Schließung des Museums
führten, verstarb im Sommer 2019 Lorraine Warren, 13 Jahre nach dem
Tod ihres Mannes im Jahr 2006. Seitdem ist der Verbleib der Ausstellungsstücke
als Teil ihres Nachlasses unklar (The Warren’s Occult Museum
o. J.). Es ist davon auszugehen, dass die Produktionsfirma mit
der Verarbeitung der Annabelle-Legende und der Bezugnahme
auf die Warrens beabsichtigte, mehr Aufmerksamkeit zu erhalten
und aufgrund des vermeintlichen Wahrheitsgehaltes den Gruseleffekt
zu erhöhen. Diese Authentifikationsstrategie ging insoweit
auf, als mit der Puppe Annabelle eine etablierte US-Legende ins
Zentrum der neuen Fiktion gestellt wurde. Dabei entschied man
sich für einige Modifikationen, die vorrangig das Aussehen der
Puppe betreffen: Die „echte Annabelle“ war im Stil der bekannten
Raggedy Ann gestaltet, einer Puppe, die seit 1918 in einer erfolgreichen
amerikanischen Buchreihe von Johnny Gruelle auftauchte
und infolge des großen Zuspruchs eine Stoffpuppen-Produktion
nach sich zog. Die kindgerechte Puppe hatte textile rotbraune Haare, aufgemalte
Augen und Sommersprossen, trug praktische, bunte Kleidung in Form einer
Schürze und war aus Stoff gefertigt – sie war eine „Lumpenpuppe“ oder „Fetzenpuppe“
als Kinderspielzeug.
Die im Conjuring-Universum verwendete Puppe gestaltet sich hingegen
gänzlich anders: Annabelles Augen aus Glas sind groß und blau. Sie trägt starkes
Make-Up samt Rouge, Lippenstift und Mascara. Ihr Gesicht erscheint bleich, kalt
und glänzend. Mit einem weißen Kleid und einer roten Schleife samt Blüte um
den Bauch scheint sie offensichtlich schon zum Zeitpunkt der Handlung von The
Conjuring – um das Jahr 1969 – ein antiquarisches Sammlerstück und kein Kinderspielzeug
mehr zu sein. Im Gegensatz zur Raggedy Ann ist diese Annabelle
steif und wenig geeignet als Kinderspielpuppe. Ihre stärkere Menschenähnlichkeit
lässt sie unheimlicher erscheinen, ganz anders als die echte Annabelle-Stoffpuppe,
deren Gesicht nur auf eine flache Stofffläche aufgemalt ist.
Als Ausdruck der Belebtheit des eigentlich Unbelebten entspricht Annabelles
Verhalten dem Kriterium des Unheimlichen nach Freud: sie ist plötzlich und selbstständig
imstande, ihren Platz zu wechseln, den Kopf zu drehen, aus der Mülltonne
ins Haus zurückzufinden, einen Schaukelstuhl zu bewegen, einen Herd anzuzünden
sowie eine Notiz zu schreiben. Wichtig ist hierbei, dass – anders als in der Chucky-Reihe – ihre Bewegungen und Tätigkeiten niemals bzw. wenn, dann nur
angedeutet gezeigt werden, so dass es keine Bilder einer sich bewegenden Puppe
gibt. Denn für Annabelle gilt: Sie ist sichtlich eine Puppe und kann weder – wie
die traditionellen japanischen Bunraku-Puppen (vgl. Bunraku o.J.) – aufgrund
ihrer Größe mit echten Menschen verwechselt werden noch ist ihr Aussehen so
menschenähnlich wie jenes von humanoiden Robotern. Die Animation der Puppe
beschränkt sich auf ein Minimum und geschieht nur punktuell, verstärkt aber
gerade deswegen den Eindruck des Unheimlichen.
Bisweilen scheint es, als gehöre Annabelle zu einer kindlichen Lebenswelt.
In The Conjuring sind es eine Spieluhr und ein Spielzeugaffe, die als ehemals
„besessene“ Artefakte in den Keller der Warrens gehörten und in den Kinderzimmern
durch einen Teddy, ein Puppenhaus und einen unsichtbaren Freund ergänzt
wurden. Es ist aber nur eine vermeintliche kindliche Lebenswelt, denn keines der
genannten Spielzeuge ist als wirkliches Kinderspielzeug zu bezeichnen oder wird
dergestalt genutzt. Vielmehr erscheinen alle genannten Gegenstände antiquarisch
und unterstützen damit die von diesen Filmen ausgehende Aura der Nostalgie
und des Gothic Horror.
Im Falle der Reihe um Annabelle kann aber letztlich nicht von reinen Puppenhorrorfilmen
gesprochen werden, da die Horrorwirkung zu großen Teilen den
hier agierenden Dämonen zuzuordnen ist, die von Menschen wie von Puppen
Besitz ergreifen. Allerdings entstammen sowohl Puppen als auch Dämonen
(mitsamt ihren Exorzist*innen) dem klassischen Horrorfilm-Figurenrepertoire,
so dass es auch hier um traditionelle, unheimliche Motive geht. Vor allem in
den 1970er Jahren erreichten satanische Dämonen als Bestandteile des religiösen
Horrors8 einen Höhepunkt. Ergänzend sei hier erwähnt, dass insbesondere die
rezenten Dämonen- und Exorzismus-Filme vermehrt auf die Visualisierung von
Dämonen und entstellten Besessenen sowie verstärkt auch auf Gewaltexzesse
und Special-Effects setzen.9 Dies trifft auch auf die Darstellungen in den Filmen
des Conjuring-Universums zu.
Die Handlung der Filme rund um Annabelle ist in den vergangenen Jahrzehnten
der 1940er und 1950er Jahre verortet, wobei allerdings ein Schwerpunkt in den
beginnenden 1970er Jahren liegt. Das verwundert nicht, denn zahlreiche Klassiker,
die das Horrorgenre prägten, stammen aus den 1970ern und spielen auch in
dieser Zeit, so etwa The Exorcist (Der Exorzist, USA, 1973, William Friedkin),
The Texas Chains Saw Massacre (Blutgericht in Texas, USA, 1974, Tobe Hooper)
oder The Amityville Horror (Amityville Horror, USA 1979, Stuart Rosenberg).
Auch The Conjuring und Annabelle spielen in den 1970er Jahren und versuchen,
den Look und die Atmosphäre dieser Zeit und der damals produzierten Horrorklassiker
nachzuahmen. Das beginnt bei den Kostümen und Stylings der Darsteller*
Innen, geht über Autos und Wohnhäuser bis hin zu weiteren entsprechenden
Requisiten. Das in den Filmen gezeigte gesellschaftliche Geschehen und die zugehörigen
Werte beziehen sich vor allem auf die Lebensumstände und entsprechen
den Lebensentwürfen von Frauen in den 1970ern. Das Protagonistenpaar
des Films Annabelle, Mia und John, erwartet ein Kind. Während John als junger
Facharzt forscht und Karriere macht, verweilt Mia im Haus und bereitet das Nest
für ihre kleine Familie vor. Der Horror gelangt durch das Gegenmodell dieses heteronormativen
Traumpaares konservativer Prägung in ihr pastellfarbene Leben:
Nachts werden sie von Satanist*Innen in ihrem Haus überfallen, wobei bereits
zuvor die Nachrichten im TV suggerieren, dass es sich um die Zeit der sogenannten
Satanist*Innen-Morde handelt – die Manson-Family treibt ihr Unwesen in
Kalifornien.
Hervorgegangen aus der friedlichen Hippie-Bewegung samt Kommunenbildung
und freier Liebe, steht die Manson-Family mit ihrer menschenverachtenden
Ideologie des Helter Skelter für die Umkehrung aller konservativen
wie bürgerlichen Werte, die auch John und Mia verkörpern. Wenn Mia samt
Schwangerschaftsbauch in Gefahr gerät, so kann dies als direkter Verweis auf
die so genannten „Tate-/LaBianca-Morde“ der Manson-Family im Sommer 1969
gelesen werden, bei denen neben sieben anderen Opfern die hochschwangere
Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau von Roman Polanski, von Mitgliedern der
Manson-Family ermordet wurde. Schwangere und Mütter als Opfer sind bereits
aus Rosemary’s Baby (Rosemaries Baby, USA, 1968, Roman Polanski) bekannt,
einem Horrorfilm der späten 1960er des Regisseurs Roman Polanski. So ist es
auch Mia, deren Vorname wiederum als eine Hommage an Mia Farrow, die Hauptdarstellerin in Polanskis Film, betrachtet werden kann, und nicht etwa ihr
Mann John, die im Annabelle-Film sowohl durch die Mörderbande als auch durch
die Dämonen viktimisiert wird. Dabei werden alle späteren Befürchtungen Mias
zunächst als „postnataler Humbug“ einer nervlich überstrapazierten Frau abgetan
und nicht ernst genommen. Im Anschluss an die grauenhaften Geschehnisse
verordnet John seiner Frau absolute Bettruhe, sie darf lediglich nähen und Soap
Operas ansehen. Könnte man zunächst vermuten, dass eine solche Darstellung
traditioneller Geschlechterrollen die 1970er Jahre nachzuahmen oder sogar überspitzt
zu parodieren versucht, belehrt der weitere Plot des Films das Publikum
eines Besseren. So verkündet der hinzu gezogene Pater Perez: „Mütter sind Gott
näher als jedes andere Lebewesen“ (Annabelle, USA 2014, 1:00:25) oder postuliert
an späterer Stelle: „Das Allerschönste, was Gottes Herz entspringt, ist die
Liebe einer Mutter“ (ebd., 1:32:48). Damit scheint er für die Dauer der weiteren
Filmnarration Recht zu behalten.
Der Film verhandelt die Sonderrolle von Müttern im Kampf gegen das Böse
als ein absolut ernstzunehmendes Faktum. So stellt sich schließlich heraus, dass
der Dämon bereit ist, statt der umkämpften Kinderseele eine andere Seele anzunehmen.
Kurz bevor Mia sich für ihren Säugling opfern möchte – als ultimative
Form mütterlicher Aufopferung – springt die Nachbarin Evelyn ein. Das wiederum
hat einen besonderen Beigeschmack, denn Evelyn hat ihre Tochter verloren
und misst ihrem Leben seitdem keinen gesteigerten Wert mehr bei. Ihre
Opferung erscheint somit gleichzeitig auch wie eine Erlösung von einem nicht
mehr lebenswerten Leben ohne ihr Kind. Konnotiert sind hier Überlegungen zur
Wertigkeit von Menschenleben nach utilitaristischer Abwägung. Dabei ist die gesamte
Figurenzeichnung von Evelyn höchst problematisch: Als einzige „woman
of color“ wird sie als Frau fortgeschrittenen Alters nicht nur durch die Merkmale
„gender“ und „age“ diskriminiert, sondern auch durch das Merkmal „race“. Unterschwellig
wird damit evoziert, dass gerade sie ein besonderes Gespür für die
drohende Gefahr habe, scheint sie der Magie doch ohnehin näher zu stehen als die
als rational gekennzeichneten Weißen John und Mia. So erfährt man, dass Evelyn
in ihrer Buchhandlung eine ganze Abteilung über Okkultismus pflegt. Zudem
scheint sie den Archetyp der „black mammy“ in der rassistischen Darstellung
Schwarzer Frauen im US-Film zu erfüllen, die bereit sind, sich für die Kinder der
weißen Slavenhalter*Innen aufzuopfern (vgl. „Annabelle, Mammy, and the value
of Black lives 2014).
So bleibt kritisch festzuhalten, dass insbesondere Frauen Opfer der Dämonen werden.
Während Mia beinahe sämtliche Attacken ohne John durchstehen muss, ist
es in The Conjuring die Mutter, die exorziert werden muss. Besessenheit scheint
demnach mehrheitlich Frauensache zu sein oder man geht davon aus, dass das
Weibliche hierfür empfänglicher ist. Erinnert wird man an Evas Sündenfall, an
die Diffamierung von Hexen oder auch an das Verbot der Priesterschaft für Frauen.
Die in den 1970er Jahren noch vorherrschenden Genderstereotype verbinden
sich demnach auch noch im Jahr 2014 mit der langen Tradition religiöser Diskriminierung
von Frauen. Somit ahmen auch The Conjuring sowie Annabelle unverblümt
die Situation der Benachteiligung von Frauen vergangener Jahrzehnte
nach, ohne dabei die damit verbundene Diskriminierung und Ungerechtigkeit zu
thematisieren. Vordergründig ist das die Imitation einer 1970er-Jahre-Stimmung,
die den Wunsch nach nostalgischen Gefühlen bedient und die Zuschauer*innen
in jene Zeiten versetzt, die als goldene für das Horrorfilmkino bezeichnet werden.
Es ist eine Folie, die von einem Horrorfilm-Publikum gelesen wird, von dem die
meisten die Originale nicht (mehr) kennen.
Mittels des Einsatzes dieser Stimmung
hofft man für die eigene Erzählung
profitieren zu können.
Abbildung 4: Don Mancini and Chucky doll
Auch für die Chucky-Puppe gibt es zwei
real existierende Vorlagen bezüglich ihres
Aussehens: That Kid der Spielzeugfirma
Hasbro aus dem Jahr 1967, eine Puppe, die
einen Ringelpullover und Jeans trägt und
rötliches Haar und Sommersprossen hat,
sowie die 1985 erschienene My Buddy,
ebenfalls von Hasbro produziert, die wie
die drei Jahre später kreierte Filmpuppe
mit einer Latzhose und einem Ringelshirt
bekleidet ist, ebenfalls Sommersprossen im Gesicht aufweist und dazu die auch für Chucky typischen hellblauen Augen.
Es ist anzunehmen, dass die Orientierung an einer tatsächlich produzierten und
verkauften Spielzeugpuppe dazu dienen sollte, den von Chucky ausgehenden
Horror enger an die Realität zu binden, kannten doch viele Zuschauer*Innen
die Puppe als Teil einer ihnen bekannten Lebens- und TV-Commercialwelt (vgl.
Barak u. Reininghaus 2014), sei es von ihren Geschwistern oder auch von anderen
Kindern (vgl. Abbildung 4).
Das Reboot Child’s Play nimmt sogar verstärkt Bezug auf die von Hasbro
vertriebene Puppe, da die Filmpuppe nun Buddi heißt und ihr Name – entsprechend
wie bei der My Buddy-Puppe – als Schriftzug auf der Latzhose platziert ist.
Man setzt damit auf das Hintergrund- und Fanwissen des Publikums. Eine völlig
identische Kopie verbot sich wahrscheinlich in den 1980er Jahren aus Gründen
von Markenrechten Hasbros. Dabei sind die vorgenommenen Veränderungen für
die gruselige Wirkung Chuckys eher förderlich, so etwa seine Zähne und wütenden
Grimassen. Im Gegensatz zu den nicht technisierten Vorbild-Puppen bewegt
sich Chucky zudem und spricht und erfüllt damit den Kriterien des Unheimlichen,
das von Puppen ausgehen kann. Seinem Aussehen nach ist Chucky immer
Spielzeugpuppe, auch wenn der Chucky aus dem Jahr 2019 dank der verwendeten
CGI2-Technik eine „smarte“ Puppe sein soll und eindeutig zeitgemäßer
und animierter wirkt als jene Puppe aus den Vorgänger-Filmproduktionen. Durch
seine Steuerung mittels Apps zieht er gleichauf mit dem digitalen Spielzeug und
den gegenwärtigen Gadgets. Gemäß seiner Entstehungszeit in den 1980er Jahren
entspricht das Wirken Chuckys stark den aus dem Slasher-Genre bekannten
Aktionen, was auch für das Reboot aus dem Jahr 2019 gilt. Menschen werden
nacheinander auf brutale Weise gemeuchelt und getötet. Entsprechend den aus
früheren Teilen bekannten popkulturellen Komik- und Camp-Elementen und
pointiert übertriebener Effekte (vgl. Sontag 2018) äußert Chucky zusätzlich zu
seinen Taten unpassende wie vulgäre Kommentare. Die dabei zitierte Populärkultur
führt dazu, dass die grausam blutigen Taten stets gebrochen und in ihrer Gesamtwirkung
abgeschwächt werden. So ist das Reboot von einem überbordenden
Arsenal an Tötungsmethoden und irrsinnig erscheinenden Handlungselementen
in einer Weise gekennzeichnet, dass sich ein Realismus-Effekt zu keiner Zeit einstellen
will. Beispiele dafür sind überall befindliche Lautsprecher, die abspielen,
was auch immer an sie per Bluetooth übertragen wird, ein selbstfahrendes Auto,
das zur Gefahrenquelle wird, oder eine ferngesteuerte Drohne, die Menschen tötet. So weist der Film durchaus auch Elemente von Selbstreflexivität auf, wenn
Chucky erst durch den Konsum eines Horrorfilms zum Mörder wird und sich auf
diese Weise mit der Kritik an der Etablierung des Heimvideomarktes auseinandersetzt,
dass Horrorfilme bisweilen Mitschuld an Gewaltverbrechen trügen, und
die Reaktion darauf selbst wiederum einen Horrorfilm darstellt. Besonders interessant
ist in diesem Kontext die Tatsache, dass einzelne Chucky-Teile mehrfach
für real begangene Morde mitverantwortlich gemacht wurden (vgl. Horror fiction
became reality, 1993; Jones, 2009).
Besessen ist die Chucky-Puppe der Version von 1988 vom Geist eines fiktiven
Serienkillers, welcher kurz vor seinem Tod von Chucky Besitz ergreift. Damit
ist die Entstehung dieser „Besetzung“ eher parapsychologischer Art, aber nicht
magisch. Mit der Figur eines Serienkillers nutzt sie ein modernes Horrorelement
und nicht etwa spirituelle Kräfte oder mystische Entitäten. Noch säkularer verhält
es sich beim Child’s Play-Reboot, das die Bösartigkeit der Puppe durch ihre
Produktionsweise in unserem Jahrzehnt erklärt: Ein gekündigter und vom Vorgesetzten
gedemütigter Arbeiter entfernt in einer asiatischen Fabrik den Gewaltblocker-Chip der smarten Puppe, die in der Folge ein unkontrollierbares Eigenleben
annimmt. Damit nimmt der Film Bezug auf unmenschliche Arbeitsbedingungen
von Fabrikpersonal in asiatischen Ländern und lässt den Mann in der Narration
nach seiner Rachetat aus dem Fenster springen – ein wenig subtiler Hinweis auf
die verzweifelten Selbstmorde von Arbeiter*Innen in Foxconn City in Shenzhen
(China) zu Beginn der 2010er Jahre (vgl. Barboza 2010).
Die Ur-Szene der Belebung des künstlichen Menschen ist somit eine für unsere
Gegenwart modifizierte Variante: Wo einst Schöpfer*innen noch formten,
modellierten oder operierten (vgl. Drux 1999), wird nun ein Mikrochip eingesetzt,
der den künstlichen Menschen gleichsam sowohl belebt wie auch seinen
Charakter bestimmt. Entsprechend den ungerechten Arbeitsbedingungen in
den produzierenden Ländern unserer globalisierten Welt ist es das Konsumland
USA, in das die Puppe exportiert wird. Konsumfreudige Westler*innen warten
dort sehnsüchtig auf den Verkaufsstart der nächsten Generation dieser Puppe
und verschmähen bereits Wochen zuvor das Vorgängermodell – eine Reminiszenz
an nächtliche Warteschlangen vor Apple Stores vor dem Release neuer Modelle. Chucky erscheint so als Strafe selbstzufriedener wie unkritischer Kapitalismus-Anhänger*innen und asiatische, sich selbst völlig entfremdete Fließband-Arbeiter*innen wirken wie zeitgenössische Nachfolger der Ausgebeuteten
in Heinrich Heines Ballade Die schlesischen Weber aus dem Jahr 1844. In diesem
Weberlied beklagen die Arbeiter*innen die Produktionsbedingungen zur Zeit der
Industrialisierung und weben in ihre Ware, das am Webstuhl hergestellte Tuch,
einen Fluch ein, um sich dadurch zu rächen.
Sozialkritische Elemente finden sich im Film sowohl in Bezug auf den Entwurf
der Familie, in die Chucky gerät, als auch hinsichtlich des US-Gesundheitssystems,
das Menschen mit Behinderungen benachteiligt. Chuckys alleinerziehende
Mutter arbeitet Doppelschichten, um ihrem schwerhörigen Sohn, den sie
als 16jährige bekam, ein angemessenes Hörgerät kaufen zu können. Dennoch
möchte sie ihm auch andere Konsumgüter ermöglichen, die für ihn von Belang
scheinen, und greift deswegen auf eine von einer anderen Kundin retournierte
Rückläufer-Buddi-Doll zurück, welche aufgrund ihrer Mängel laut Herstellerfirma
eigentlich vernichtet werden müsste. Auf diese Weise geraten die Abnehmer
des Wohlstandsmülls in das Visier der Gefahr, während die eigentlichen
Käufer*innen unbehelligt bleiben, weil sie sich funktionierende Waren leisten
können.
Abstrahiert man von der „bösen Puppe Chucky“, enthält der Film zahlreiche differenzierte
Botschaften, die als subtile Hinweise auf Technologiekritik gelesen
werden können. So zeigt sich, dass die im Westen ankommenden Waren nicht die
Produzierenden ausbeuten und benachteiligen, sondern auch den vermeintlich
privilegierten Kund*innen massiv schaden, etwa dadurch, dass sie – fixiert auf
ihre mobilen Endgeräte – ihre sozialen Kontakte vernachlässigen, ihre Umwelt
nicht mehr genügend beachten und vor allem leichtfertig Abhängigkeitsverhältnisse
mit Technologien eingehen. Am Beispiel von Chucky zeigen sich die Folgen
einer unüberlegten Nutzung von Clouds sowie die Unbedachtheit bei der Weitergabe
persönlicher Daten, etwa wenn Chucky still mithört, Ton- und Bildaufzeichnungen
anfertigt und mit diesen den Jungen Andy zu erpressen versucht.
In dieser Funktion erinnert er an die Ängste, die mit der virtuellen Künstlichen
Intelligenz Alexa des Amazon-Konzerns verbunden werden. Als der Junge Andy
schließlich merkt, dass Chucky schädlich für ihn und sein Umfeld ist, beschließt
er dessen Zerstörung. Dennoch ist das für ihn keine leichte Entscheidung, hat er
sich doch an die künstliche Puppe gewöhnt, auch wenn sie ihm nur vorgaukelte, sein Freund zu sein. Die Inszenierung des Sich-Lösens von solchen Gewohnten
erweist sich als schmerzhaft. In gewisser Weise wird damit auf die Aussagen
von Facebook-Nutzer*innen angespielt, die ihr Profil aufgeben, weil sie den Datenschutz
als nicht ausreichend betrachten, und dennoch bei der Löschung eine
Art Verlust ihrer virtuellen Identität und Kontakte beklagen. Die unübersehbare
Botschaft des Films lautet: Technologien, Medien und natürlich auch die Sozialen
Medien können sich durch das ihnen zukommende Suchtpotential, durch
ihre Sicherheitslücken sowie durch die Missbrauchsmöglichkeiten gegen ihre
Nutzer*innen und das heißt, gegen Menschen wenden. Damit ist Child’s Play
eindeutig ein Film, dem im Kontext unserer stark technologisierten Gegenwartsgesellschaften
eine wichtige Stimme zukommt.
Untersucht wurden anhand der Puppen Annabelle und Chucky zwei Vertreter von
Horrorfilm-Franchises, die beide ihre vorerst letzten Versionen im Jahr 2019 präsentierten.
Im Rahmen ihrer Kernhandlung platzierten sie Puppen, die Menschen
Schaden zufügen. Ist dabei die Bezugnahme des Conjuring-Universums auf die
ursprünglich real existierende Annabelle gleichermaßen als Inspiration wie auch
als „unheimliche“ Authentifikationsstrategie zu betrachten, so verlässt sich das
weitaus ältere Chucky-Franchise im Jahr 2019 auf die Ikonizität seines Protagonisten,
der ursprünglich seinem Aussehen nach auch einer real existierenden
Puppe nachempfunden wurde.
In beiden Fällen geht der erzeugte Horror nicht allein von den Puppen aus.
Gerade für die Gegenwart bedarf es offensichtlich einer Kombination von Gruselkomponenten
oder einer Aufwertung mit anderen Horror-Elementen. The
Conjuring und Annabelle thematisieren Okkultes und Mystisches. So sind es
hier atmosphärisch der traditionelle Grusel, das Unheimliche des Anwesens und
der Spukhäuser, mitsamt ihren Kellern und den in ihnen lebenden Dämonen,
die das Publikum ängstigen sollen. Zudem wurden Settings längst vergangener
Jahrzehnte kreiert, insbesondere der 1970er Jahre, die damit an die Horrorfilmproduktionen
und ihre Atmosphären aus jener Zeit anknüpfen. Dies geschieht
allerdings unkritisch und ohne Hinterfragung der damals vorherrschenden Missstände,
Vorurteile oder Stereotype. Diese werden damit nicht nur erneut reproduziert,
sondern stellen zusätzlich ein wohliges Nostalgiegefühl her. Die Reihe der Annabelle-Filme erreicht ihren Erfolg zum einen gerade damit, perfekt wie
aus der Zeit gefallen zu sein und zum anderen dadurch, dass auf aktuelle gesellschaftliche
Inhalte oder Bezüge verzichtet wird.
Dies verhält sich beim 2019er Reboot von Child’s Play grundlegend anders.
Hier werden im Film Phänomene der „Übermoderne“ problematisiert und ethische
Fragen nach Technologie, Gefahren derselben, nach Verantwortung und der
Freiheit des Menschen gegenüber künstlichen Menschen bzw. Künstlicher Intelligenz
(KI) ins Zentrum gestellt und darüber hinaus auch noch Kapitalismusund
Globalisierungskritik geübt. Ohne je wirklich Unheimliches zu erzeugen,
macht Child’s Play mit schwarzem Humor, einer nie ganz ernst zu nehmenden
Puppe sowie nicht zuletzt durch seine Selbstreflexivität als Medium ein augenzwinkerndes
Angebot, sich mit technologieaffinen Gefahren unserer Gegenwart
auseinanderzusetzen.
[1] vgl. für einen Überblick zur Entwicklung des Horrorfilms Podrez (2020).
[2] Corn husk dolls sind simple Puppen, die aus getrockneten Maisblättern gefertigt werden.
[3] Das sogenannte Conjuring-Universum setzt sich aus derzeit sieben fertiggestellten Filmen der Warner Bros. Entertainment zusammen, die hier in der Reihenfolge ihres Erscheinens aufgelistet werden und damit nicht der Handlungschronologie entsprechen: The Conjuring (Conjuring – Die Heimsuchung, USA, 2013, James Wan), Annabelle (Annabelle, USA, 2014, John R. Leonetti), The Conjuring 2 (Conjuring 2, USA, 2016, James Wan), Annabelle: Creation (Annabelle 2, USA, 2017, David F. Sandberg), The Nun (The Nun, USA, 2018, Corin Hardy), The Curse of La Llorona (Lloranas Fluch, USA, 2019, Michael Chaves), Annabelle Comes Home (Annabelle 3, USA, 2019, Gary Dauberman). The Conjuring: The Devil Made Me Do It (Conjuring 3, USA, 2020, Michael Chaves) ist für 2020 angekündigt. Im Zentrum der Filme stehen die Geschehnisse um das Dämonologen Ehepaar Ed und Lorraine Warren sowie um die Puppe Annabelle. Die Spin Offs des Franchises erzählen einzelne Handlungsstränge weiter, etwa jenen um den Pater Perez, dabei spielt Annabelle nicht in jedem Film eine Rolle.
[4] Unter einem Reboot versteht man den Neustart einer bereits etablierten Serie. (vgl. zu Hüningen o.J.).
[5] Auf Child’s Play (Chucky – Die Mörderpuppe, USA, 1988, Tom Holland) folgte Child’s Play 2 (Chucky – Die Mörderpuppe ist wieder da, USA, 1990, John Lafia). Es schlossen sich Child’s Play 3 (Chucky 3, USA, 1991, Jack Bender) sowie Bride of Chucky (Chucky und seine Braut, USA/UK, 1998, Ronny Yu) an, denen wiederum Seed of Chucky (Chucky’s Baby, USA, 2004, Don Mancini) folgte. Mit Curse of Chucky (Curse of Chucky, USA, 2013, Don Mancini) und Cult of Chucky (Cult of Chucky, USA, 2017, Don Mancini) erschienen die letzten von Mitschöpfer Don Mancini mitverantworteten Teil der Reihe. Der im Rahmen dieser Untersuchung betrachtete Child’s Play aus dem Jahr 2019 entstand ohne Mancinis Beteiligung und stieß neben weiteren Gründen auch deshalb in Fankreisen auf Skepsis und Ablehnung.
[6] Beispielsweise in Form von Wackelfiguren, T-Shirts, Kissen und Schlüsselanhängern, als Verkleidungskostüme gibt es sowohl die Masken mit dem jeweiligen Gesicht der Puppe als auch die charakteristische Bekleidung.
[7] Etwa in House of 1000 Corpses (Haus der 1000 Leichen, USA, 2003, Rob Zombie), in dem an der Veranda drapierte Puppen auf das Geschehen im Inneren des Hauses vorbereiten. Die Geisteskrankheit und Brutalität der Bewohnerin des Gebäudes soll dadurch verdeutlicht werden, dass sie ihren Puppen bereits als Kind die Gliedmaßen abhackte.
[8] Die bekanntesten Vertreter sind The Exorcist (Der Exorzist, USA, 1973, William Friedkin) und The Omen (Das Omen, USA/ GB 1976, Richard Donner).
[9] Etwa: The Rite (The Rite – Das Ritual, USA, 2011, Mikael Hafström), The Possession (The Possession – Das Dunkle in dir, USA, 2012, Ole Bornedal) oder Evil Dead (Evil Dead, USA, 2013, Fede Alvarez).
Bayrak, Deniz, Reininghaus, Sarah (2014). Bloody Dolls: Die Puppe als unheimliche Figur im Erwachsenengenre des Horrors. In Insa Fooken, Jana Mikota (Hg.), Puppen. Menschenbegleiter in Kinderwelten und imaginären Räumen (S. 332–341). Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht.
Drux, Rudolf (1999). Frankenstein oder der Mythos vom künstlichen Menschen und seinem Schöpfer. In Rudolf Drux (Hg.), Der Frankenstein-Komplex. Kulturgeschichtliche Aspekte des Traums vom künstlichen Menschen (S. 26–47). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Freud, Sigmund (1919/1963). Das Unheimliche. Aufsätze zur Literatur. Frankfurt a. M.: Fischer.
Jentsch, Ernst (1906). Zur Psychologie des Unheimlichen. Psychiatrisch-Neurologische Wochenschrift 22, 195–198 / 23, 203–205.
Lowenstein, Adam (2005). Shocking Representation: Historical Trauma, National Cinema, and the Modern Horror Film. New York: Columbia University Press.
Podrez, Peter (2020). Der Horrorfilm. In Stiglegger, Marcus (Hg.), Handbuch Filmgenre (o. S.) Wiesbaden: Springer VS (Online).
Seeßlen, Georg, Jung, Fernand (2006). Horror. Grundlagen des populären Films. Marburg: Schüren.
Sontag, Susan (2018). Notes on ‚Camp‘. New York: Penguin Random House.
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zu Hüningen, James. Reboot. Zugriff am 27.12.2019 unter: https://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php? action=lexikon&tag=det&id=8616
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Bunrako. Zugriff am 27.12.2019 unter https://www.artelino.com/articles/bunraku.asp
American Horror Story: Freak Show (USA, 2014, 13 Episoden, 650 min)
Annabelle (USA, 2014, John R. Leonetti, 99 min)
Annabelle Comes Home (USA, 2019, Gary Dauberman, 106 min)
Annabelle: Creation (USA, 2017, David S. Sandberg, 109 min)
Bride of Chucky (USA/ UK, 1998, Ronny Yu, 89 min)
Child’s Play (USA, 1988, Tom Holland, 83 min)
Child’s Play (USA, 2019, Lars Klevberg, 90 min)
Child’s Play 2 (USA, 1990, John Lafia, 84 min)
Child’s Play 3 (USA, 1991, Jack Bender, 86 min)
Cult of Chucky (USA, 2017, Don Mancini, 91 min)
Curse of Chucky (USA, 2013, Don Mancini, 97 min)
Evil Dead (USA, 2013, Fede Alvarez, 96 min)
Ghostland (Frankreich/Kanada, 2018, Pascal Laugier, 91 min)
House of 1000 Corpses (USA, 2003, Rob Zombie, 85 min)
Rosemary’s Baby (USA, 1968, Roman Polanski, 131 min)
Seed of Chucky (USA, 2004, Don Mancini, 86 min)
The Amityville Horror (USA, 1979, Stuart Rosenberg, 117 min)
The Boy (USA, 2016, William Brent Bell, 97 min)
The Conjuring (USA, 2013, James Wan, 112 min) The Conjuring 2 (USA, 2016, James Wan, 134 min)
The Conjuring: The Devil Made Me Do It (USA, 2020, Michael Chaves, o.A.)
The Curse of La Llorona (USA, 2019, Michael Chaves, 94 min)
The Exorcist (USA, 1973, William Friedkin, 132 min)
The Keepers (USA, 2017, 1 Season, 7 Episoden, insgesamt 435 min)
The Nun (USA, 2018, Corin Hardy, 96 min)
The Omen (USA/ GB,1976, Richard Donner, 106 min)
The Possession (USA, 2012, 92 min)
The Rite (USA, 2011, Mikael Hafström, 114 min)
The Texas Chain Saw Massacre (USA, 1974, Tobe Hooper, 83 min)
True Detective: Season 3 (USA, 2019, 8 Episoden, insgesamt 480 min)
Abbildung 1: Annabelle film doll; Zugriff am 20.03.2020 unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Annabelle_Doll_prop_03.jpg; author/source: PvOberstein
Abbildung 2: Chucky doll; Zugriff am 20.03.2020 unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Chucky_the_doll.jpg; author/spource: schnaar @Flicker
Abbildung 3: Annabelle Warren doll; Zugriff am 20.03.2020 unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/ File:Annabelle_doll.jpg; author/source: Altor / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/ by-sa/4.0)
Abbildung 4: Don Mancini and Chucky doll; Zugriff am 20.03.2020 unter: https://commons.wikimedia. org/wiki/File:Mancini,_Don_(2007).jpg; author/source: Fr. Scott Kosar
Studium der Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft an der TU Dortmund. Derzeit arbeitet sie an der TU Dortmund und beschäftigt sich im Rahmen ihrer kulturwissenschaftlich orientierten Dissertation mit Ikonografien der Shoah. Forschungs- sowie Publikationsschwerpunkte sind neben Aspekten literarischer und filmischer Interkulturalität vor allem „horrorfilmstudies“ unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten.
Korrespondenz-Adresse / correspondence address
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