Zauberfrau und Marterleib
Das Leben der Puppe in Gottfried Kellers Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe und die Episteme von Ritual- und Bildhandeln im poetischen Realismus
Schlagworte:
Handlungs- und Wirkmacht, Dingpoetik, Initiationsriten, poetischer Realismus, pictorial turnAbstract
Das von einem schwankenden Erzähler begleitete und reflektierte Bekleiden, Beleben, Traktieren, Malträtieren und schließlich Vernichten und Bestatten einer Puppe in Kellers Novelle Romeo und Julia auf dem Dorfe kann als ritueller Zyklus eines animistischen Bildhandelns gelesen werden, der überdies das soziale Leben eines Dings dialektisch miterzählt. Darüber hinaus offenbart die kulturwissenschaftliche Re-Lektüre des Puppenspiels, wie Keller als Autor des poetischen Realismus einerseits diejenigen Formen literarischen Bildhandelns fortführt, die wir bereits in Texten der Frühromantik und der Goethezeit vorfinden, andererseits kulturwissenschaftlichen Diskursen des späten 20. Jahrhunderts vorgreift: Anhand des Lebens einer Puppe formuliert Keller lange vor allen cultural turns zentrale Fragen der material culture studies zu ambiguen Dispositionen menschlicher Interaktion mit Dingen. Hierin bietet die Novelle einen paradigmatischen Zugriff auf die Kernfrage des pictorial turn zum doppelten Bewusstsein von uns Menschen im Handeln mit und durch Dinge. Der Umgang der Kinder mit der Puppe zwischen kindlichem Spiel und rites de passage, zwischen Idolatrie und Ikonoklasmus sowie das Oszillieren des Erzählers zwischen Beschreibung und Anteilnahme, reflektiert nicht nur den ambiguen Charakter, der dem Bild- und Ritualhandeln in ästhetischen wie sozialen Dispositionen inhärent ist, sondern er zeigt auch, wie Poetologien des Wissens zur Mitte des 19. Jahrhunderts jenseits von naivem Animismus und nüchternem Materialismus Reflektionen zur agency von Artefakten mit Bildcharakter versammeln und erzählen.
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